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Full text of "Schwarzer Faden Nummer 0-77"

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Hambacher Fest 
Span. Bürgerkrieg 
Anarch. Föderation 


anarchistische 

j VIERTELJAHRES“ 
j SCHRIFT 








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HAMBACHER FEST 

S. 3 

"BÜRGERKRIEG" 

S. 10 

SPANISCHER DOKUMENTARFILM 


1936-39 

S. 11 

SOZIALE VERTEIDIGUNG 

S. 16 

TÄGLICHE ZENSUR 

S. 18 

PETER SCHULT -FREIE LIEBE? 

S. 19 

GEFANGENINITIATIVE 

S. 23 

SAMEN - ALTA-STAUDAMM 

S. 24 

ANARCHISTISCHE ORGANISATION 


- DISKUSSION - 

S. 25 

"hautnah" 

S. 30 




EDITORIAL 

Es spinnt sich ein SCHWARZER Faden durch die Geschichte 
der Menschheit: die Geschichte der kompromißlosen Kämpfe 
unf und für die Freiheit. Wo dieser Faden heute "ist", wo an 
ihm anzuknüpfen, wie er weiterzuspinnen ist, um das hei aus¬ 
zufinden, machen wir seit Mai 1980 diese Zeitschrift. Wir 
halten es für notwendig, die Geschichte und Gegenwart der 
Unterdrückung, wie der (bisher meist erfolglosen) Befreiungs¬ 
kämpfe kritisch aufzuarbeiten - wir sind der Auffassung, daß 
diese Aufarbeitung zu unterlassen bedeutet, sich der Ge- 
schichtslosigkeit preiszugeben und sich von den wichtigsten 
Erfahrungen abzuschneiden; denn ohne bewußt aufgearbei¬ 
tete Erfahrung kann es nur eine fortschrittliche Praxis geben, 
die fortwährend am Nullpunkt beginnt. In der Auseinander¬ 
setzung mit den gesellschaftlichen Veränderungen und 
Bewegungen versuchen wir brauchbare Ansätze unter ant¬ 
istaatlichen Gesichtspunkten zu erarbeiten, auf die von 
aktiven Lesern — kritisch — eingegangen werden kann und 
soll. 



—HB"*; 

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MITARBEITER DIESER NUMMER :HORST BLUME, 
WOLFGANG HAUG, FRIEDERIKE KAMANN, JÜRGEN 
WIERZOCH , ROLF FICKER, VOLKER SCHÖSSLER, 
HELMUT G. HAASIS, PETER LAUDENBACH , JOCHEN 
NICKEL, BÄRBEL LOREY, HERBERT LASCHEK 

PHOTOS: WELF, ARNO, NANDO 


V^i.S.d.P,: JÜRGEN WIERZOCH, Bvgdtfy Allee, Oslo 
NAMENTLICH GEZEICHNETE ARTIKEL STEHEN UNTER 
DER VERANTWORTUNG DER VERFASSER UND GEBEN NICHT 
DIE MEINUNG DES PRESSERECHTLICH VERANTWORT¬ 
LICHEN WIEDER. 

DRUCK: WINDDRUCK-KOLLEKTIV, ANZHAUSENERSTR.41 
5901 ANZHAUSEN 

TEILSATZ: HORST STOWASSER, TURMSTR.2, 6330 WETZLAR 
VERTRIEBS-UND REDAKTIONSANSCHRIFT: M SF" 

OBERE WEIBERMARKTSTR.3, 7410 REUTLINGEN 
AUF LAGE: 150 0 REDAKTIONSSCHLUfl: 30.7,82 

t ^ Red. Schwarzer Faden 

_ \ Obere Weibermarkt Straße 3 


7410 Reutlingen 


Im nächsten Heft 


_ 













(Anm. der sf-red.: An Pfingsten werden sich die „freiheitlichsten Demokraten, die Deutschlands Boden je sah" zum großen 
nationalen Festakt versammeln. Damit sie nicht alleine bleiben, und damit von Seiten der 'Demo'-Demokraten nicht nur grund¬ 
gesetzfeste DKP'ler die Idylle ergänzen, bringen wir Hellmuth's Beitrag als Aufforderung. Er soll alle diejenigen nach Neustadt 
verführen, die ein „Fest des Volkes" noch mit ihrer eigenen Phantasie ausfüllen können. Der Beitrag ist aus Platzgründen leider 
stark gekürzt.) 



STREIFLICHT: 

Die Bezirksregierung der Pfalz in Neustadt an der Wein¬ 
straße, eine untergeordnete Behörde der rheinland-pfälzi¬ 
schen Landesregierung, bereitet sich seit letztem Herbst da¬ 
rauf vor, wie Andersdenkende daran gehindert werden 
könnten, am Hambacher Fest teilzunehmen. Die Bezirks- 
regierung setzte eine eigene Arbeitsgruppe aus Landeskrimi¬ 
nalamt, Sicherheitseinheiten, Katastrophenschutz und Be¬ 
reitschaftspolizei ein, um den Ausnahmezustand zu planen. 
Dem leibeigenen, hörigen Teil der Presse enthüllt sie Grau¬ 
envolles: soeben sei das erste Buch zum Hambacher Fest 
erschienen. Es trage den bezeichnenden, unheilsschwange¬ 
ren Titel: „Volksfest, sozialer Protest und Verschwörung". 
Es sei so radikal, gegen die Regierenden so unfreundlich, 
daß man mit dem Schlimmsten rechnen müsse. (...) 


SYreIFliCht: 

Die Gattinnen der gewöhnlich gut funktionierenden hö¬ 
heren Kreise aus Wirtschaft, Politik und Kultur härmen sich 
• in der Sorge, was sie beim Staatsakt auf dem Hambacher 
Schloß anziehen sollen. 

In der Auftragsabteilung der Daim|er-Benz AG gibt der 
Chef eine Runde Sekt aus. Soeben wurde ein Dutzend ge¬ 
panzerter BOOer Limusinen bestellt. Lieferfrist:, bis Ende 
Mai zurn Hambacher Fest. 

;v. ; Ae' ; 'taMdes^0eFöng von Rheinland-Pfalz stellt dieses 
Jahf von 500 mühsam Und teuer ausgebildeten Grund- und 
H auptschulleh rer innen und Lehrern nur 15 ein, also 
gerade 3 %, an Realschulen und Gymnasien niemanden 
Kein Geld. ■ .. ... ‘ 

Die Ruine des Hambacher Schlosses, vor 150 Jahren 
Schauplatz der größten Protestkundgebung vor der 48er 
Revolution, wird für 10 Millionen Mark zum Festsaal der 
Herrschenden hergerichtet. Die Straße von Hambach zum 
Schloß hinauf läßt sich den Dienstwagen der hohen Herr¬ 
schaften picht zumuten. Die Ausbesserung kostet eine wei- 






mm 










2 

Wir sind mitten in der Aktualität des alten Rebellenfe¬ 
stes. 

Was ist nun im Jahr 1832 passiert? Warum kann dieses 
Ereignis der Geschichte nicht langsam entschlafen, wie die 
meisten anderen? 

Am 27. Mai des Jahres 1832 treffen sich morgens auf 
dem Marktplatz von Neustadt an der Weinstraße tausende 
empörter Demokraten. Viele sind schon am Tag zuvor an¬ 
gekommen. Andere sind auf ihren mit Pferden bespannten 
Leiterwagen die ganze Nacht hindurch gefahren. Unterwegs 
haben sie in größeren Orten auf die Wagen aus anderen 
Richtungen gewartet So bilden sich immer längere Kolon¬ 
nen. 

Blumengirlanden schmücken die Fuhrwerke, wie wenn es 
zu einer Dorfhochzeit ginge. Ohne ein Faß Wein und viel 
Wasser geht niemand auf die strapaziöse Fahrt. Die Leute 
singen, keine Kirchenlieder, sondern verbotene, jeden Poli¬ 
zeischädel verwirrende Freiheitslieder, allen voran das be¬ 
rüchtigte, damals erst im Entstehen begriffene Volkslied: 

Fürsten zum Land hinaus! 

Jetzt kommt der Völkerschmaus. 

Hinaus, hinaus, hinaus! (...) 

Auf den Wagen flattern verbotene Fahnen in den Farben 
schwarz, rot und gold. Anfangs untersagte die Regierung 
der bayerischen Rheinpfalz in Speyer das geplante Frei¬ 
heitsfest, Dem Zorn der demokratischen Pfälzer mußte sie 
nachgeben. 

Die Regierungen lernten daraus, bis heute: Volksbewe¬ 
gungen sind nicht durch Verbote und Erklärungen niederzu¬ 
halten, sondern nur durch brachiale Polizeigewalt, wenn es 
sein muß, sogar‘durch die Armee. Jeder Bruch der Verfas¬ 
sung und jede Verletzung der Menschenrechte lassen sich 
ohne weiteres rechtfertigen, wenn dadurch die unbotmä¬ 
ßigen Untertanen wieder zur Räson gebracht werden. 


3 

Eine damals noch nie auf der Straße gesehene Masse mar¬ 
schiert am Morgen des 27. Mai 1832 los. Die Schätzungen 
schwanken zwischen 20 und 30.000. Voran die Bürgergarde 
von Neustadt mit Blasmusik, dann ein großer Frauenblock 
mit der polnischen Fahne. Erst im Jahr zuvor wurden die 
Polen in ihrem Versuch niedergeschlagen, durch einen be¬ 
waffneten Aufstand ihre nationale Freiheit und Einigung zu 
erkämpfen. 

Nach den Frauen kommen Festordner mit schwarz-rot- 
goldnen Schärpen und einer Fahne, in die die Parole 
„Deutschlands Wiedergeburt" eingestickt ist. Zuletzt die 
Masse der Teilnehmer, geordnet nach ihrer Herkunft in 
Rheinpreußen, Badener, Hessen, Württemberger, Franken, 
Altbayern, Frankfurter, Hannoveraner usw. 

Der Demonstrationszug geht vier Kilometer durch die 
Weinfelder dem reizvollen Haardtgebirge entlang nach Ham¬ 
bach, von dort auf Serpentinen den Schloßberg hinauf. 
Oben das ehemalige Schloß des Erzbischofs von Speyer, ei¬ 
ne Ruine: seit dem großen Bauernkrieg von 1525 ein un¬ 
übersehbares Mahnmal militanten Freiheitswillens. Die Pfäl¬ 
zer Bauern steckten dlas Raubnest ihres unerträglichen Plag- 
geistes in Brand, (...) 


Auf dem Hochplateau des Schloßberges stehen nun eini¬ 
ge Tribünen, Die meisten Teilnehmer können die Redner 
gar nicht hören. Das tut nichts, denn sie sind sich eh alle ei¬ 
nig: die Fürsten müssen weg, die Rechte der Bürger sind m 
festigen und auszubauan. Reden und immer wieder Reden 
füllen die beiden Pfingsttage aus. Wer genug davon hat, ver¬ 
gnügt sich in den improvisierten Gartenwirtschaften, an den 
Kaffee-, Tee- und Vesperbuden, an den Krimerlideri. Da¬ 
zwischen ertönen Freiheitslieder. Illegale Flugschrften fin¬ 
den reißenden Absatz. Verbotene Ware steht hoch im An¬ 
sehen. 

Kurz, es bricht die liebenswürdige Anarchie eines Volks¬ 
festes aus, eines politischen gar. Das Gannstatter Volksfest: 
oder das Münchner Oktoberfest haben niete mit diesem tu* 
kunftswefsenden Fest zu tun. Sobald ein Volk das sinnvolle 
Ziel seiner Befreiung vor sich sieht und danach sich aus¬ 
streckt, gibt es keinen Grund, sich volfaufen zu lassen und 
anderen den Schädel e inzusch lagen. 

Zu den Rednern, die mit größter Spannung erwartet wer¬ 
den, gehören Siebenpfeiffer und Wirth, (...) 

Siebenpfeiffer hat genug politische Erfahrung gesam¬ 
melt, um zu wissen, daß die Fürsten ihre eigene Abschaf-' 
fung niemals beschließen werden. Deshalb erscheint ihm die 
Erhebung für die Befreiung unbedingt nofwendii. Seine Re¬ 
de beendet er mit dem Ausblick: 

„Wir selbst wollen, wir selbst missen vollend en da$ 
Werk, und ich ahne, bald, bald muß es geschehen, soll die 
deutsche, soll die europäische Freiheit nicht erdrosselt wer¬ 
den von den Mörderhänden der Aristokraten/' (...) 

Die Pfälzer stehen seit langem in engem Austausch mit 
den Franzosen. Wer in der Pflaz etwas auf sich hält, lernt, 
studiert oder arbeitet eine Zeitfang in Frankreich, vor allem 
natürlich in Paris. 

Die politisch sehr einflußreiche, geschtt% Verschwörer¬ 
gruppe um einige Zweibrücker Rechtsanwälte unterhält seit 
der französischen Julirevolution von 1830 enge Verbindung 
gen zu der radikalen republikanischen Opposition in Paris. 
Der gemeinsame Revolutionspian sieht vor: zuerst stürzen 
die Republikaner in Paris das Komgsturh, dann folgen die 
Pfälzer. (...) * 




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4 

Die Reden gehen weiter. Auch ein Platzregen, der die be¬ 
reits zum Mittagessen aufgestellten Teller füllt, läßt das In¬ 
teresse nicht ertrinken. 

Genauso am zweiten Tag. Bis es den radikalen Teilneh¬ 
mern zu bunt wird: Handwerkern und Studenten. Für sie 
ergreift der Bürstenbinder Johann Philipp Becker aus Fran¬ 
kenthal (Pfalz) das Wort. Noch als alter Mann hat er sich 
mit Vergnügen daran erinnert: 

Auf der Ruine von Hambach waren auch Scharen jun¬ 
ger Männer, namentlich der studierenden Jugend ange¬ 
langt, die zuversichtlich hofften, es werde dort schlie߬ 
lich auch Ernst gemacht werden und - „losgehen " 
Auch ich war mit meinen Freunden in dieser beseelt* 
genden Illusion von Franken thal aus dahin gezogen. Wir 
sagten uns: die ergrauten Volksfreunde , die grundge¬ 
scheiten Doktoren und Professoren werden schon dafir 
gesorgt haben, daß die ungeheure Versammlung nicht ab¬ 
läuft wie das Hornberger Schießen , und es werden wohl 
aus irgendeinem Winkel der umfangreichen Schloßmine 
verborgene Waffen und Munition zur Verteilung gelan¬ 
gen. 


„Hinter den Verfügungen der Regierungen stehen Bajo¬ 
nette und Kanonen , hinter unseren Protesten aber steht 
nichts, dämm werden die Verfügungen der Regierungen 
vollzogen und bleiben die Proteste des Volkes lächerliche 
Vorstellungen; wollen wir daher mit Erfolg protestkrem 
so müssen hinter unsern Protesten ebenfalls Bajonette 
und Kanonen stehen. ” 

★★★★★ 

Was geschähe heute mit einem solchen Redner? Mit Sicher¬ 
heit gäbe es eine Festnahme, viele Jahre Untersuchungshaft, 
einen Mammutprozei und um die 15 Jahre Stammheim. 
Der Bürstenbinder Becker dringt nicht durch. (...) 


Als aber bis gegen Abend des 2. Festtages, Montag , 
28. Mai, kaum von etwas anderem als Protestaktionen 
gegen die Beschlüsse des deutschen Bundestages und 
die ungesetzlichen Verordnungen der Regierungen ge¬ 
sprochen und dabei immer der gesetzliche Weg betont 
wurden, so war mir doch mein Geduldsfaden völlig Mifc 
gegangen. Sofort bestieg ich heiligen Eifers ein großes, 
leergetrunkenes, neben der Rednerbühne umgestürztes 
Weinfaß , rief gleich einem mit seinen Gesetzlichkeits- 
tiraden nicht enden wollenden Sprecher zu . ,,Halt end-> 
lieh 's Maul dort drüben mit deinem Legalitätsschmus 
und üb ersehne ihn dann derart , daß er alsbald verstumm¬ 
te und ich das Wort allein behielt, um nun direkt unter 
allgemeinem Beifallsjubel zur allgemeinen Bewaffnung 
aufzufordern. Meine kurze Rede drehte sich um den von 
mir aufgestellten Satz hemm: 


Volksbewegungen, die den Herrschenden gefährlich wer¬ 
den, pflegen nicht nur das Transport- und Gaststättengewer¬ 
be Ins Brot zu setzen, sondern, offenbar unvermeidlich, 
auch viele Spitzel, Das gilt nicht nur für die AnthAtom- 
kraft-Bewegung, für die Umweltsehützer, für die Gegner 
Wahnsinniger Flughafenerweiterungen, sondern ebenso 
schon für das Hambacher Fest, 

Einen der Spitzel erwischen die Neu Städter, verbläuen 
ihn» sperren ihn ins Rathaus ein und lassen dien Wicht unter 
dem Gelächter der Stadt aus dem Fenster flüchten. Die Ge¬ 
genseite wäre gewiß nicht so großzügig gewesen. 






Allein Fürst Metternich, der österreichische Kanzler in 
Wien, das Haupt der ganzen Reaktion in Europa, schickt 
sechs Spitzel nach Hambach. Einem allein traut er nicht 
über den Weg. Hinterher zeigt er sich enttäuscht, daß es 
keine Schlägereien oder gar Attentate gegeben hat. (...) 

Aus einem dieser Spitzelberichte: 

>Aus allen Kantonen Rheinbayerns waren besonders 
die Advokaten und einige Prediger die eifrigsten Teil¬ 
nehmer , Von einigen derselben erfuhr ich, daß man alles 
dransetzen würde, die Freiheit der Presse durchzusetzen, 
daß der Verein über 30.000 Gulden Einkünfte hierzu zur 
Verfügung habe, daß, wenn die Regierung die Versamm¬ 
lung auf Hambach verboten hätte , man dennoch und 
zwar bewaffnet erschienen wäre. Es bedürfe nur eines 
Winkes der Anführer ; und alles sei zum bewaffneten Wi¬ 
derstande bereit Man sei völlig darauf gefaßt, Gewalt- 
schritte der Regierung mit Gewalt zurückzutreiben, und 
fürchte kein Militär. Ihr bergiges Land gäbe ihnen die 
schönsten Verteidigungsmittel an die Hände , auch seien 
sie überzeugt, die Soldaten würden gegen ihre Brüder 
nichts tun, die ja für heilige Rechte und Freiheiten strit¬ 
ten/' (...) 

Der Schluß des Spitzelberichts beweist die unerschrockene 
Grundhaltung der Hambach er Demokraten. Sie fassen sich 
nicht die Gewaltdiskussion aufschwätzen, wie das inzwh 
sehen für ein Zeichen braver Bürgergesinnung gilt. 

Wenn die Regierung Gewalt einsetzt, werden sich die De¬ 
mokraten zur Wehr setzen. Von der grundsätzlichen Ge¬ 
waltlosigkeit, nach der man alles mit sich machen lassen 
muß, halten sie nichts. Das Schützen des Kopfes mit dem 
Helm und das Verbergen des Gesichts hinter Halstüchern 
für passive Gewalt zu erklären, stellt einen hirnrissigen Ju- 
ristentrick dar, den zu erfinden den Politikern unserer Epo¬ 
che Vorbehalten blieb. 

Auch dieses Beispiel mag deutlich machen, wie wenig die 
Zustände von heute mit dem zu tun haben, was den Hamba- 
eher Demokraten als Selbstverständ lichkeit galt. (...) 

6 

Warum kommt es zum ersten Nationalfest der Deutschen 
ausgerechnet in der abgelegenen Südwestecke Deutschlands? 
Warum treffen sich die militanten Demokraten zur größten 
Protestkundgebung vor der 48er Revolution nicht im in¬ 
dustriell auf steigender» Rheinland oder in einer der Landes¬ 
hauptstädte, etwa in München, Stuttgart, Hannover oder gar 
Berlin? 

Als Treffpunkt der ganzen nationalen Opposition bietet 
sich die Pfalz deshalb an, weil es dort wie in keiner anderen 
Region Deutschlands eine breite Schicht von Demokraten 
gibt, die unterhalb der Regierungsebene fast alle Macht in 
den Händen halten. Früher als sonstwo in Deutschland 
wächst in der Pfalz eine neue führende Schicht heran, die 
sich auf die Volksherrschlaft stützen will. 

fm Windschatten der Großen Französischen Revolution 
von 1789 kommen drüben vom Rhein einheimische Jakobi¬ 
ner zum Zug. Darunter versteht man revolutionäre Demo¬ 
kraten. Im Lauf der Revolution gelingt es ihnen, den an¬ 
sehnlichen Grundbesitz des Adels und teilweise auch der 
Geistlichkeit zu Spottpreisen zu ersteigern. 

Eine halbe Generation lang gehört das linksrheinische 
Gebiet zu Frankreich. Der Ade! wird vertrieben und enteig¬ 
net. Das Bürgertum besetzt alle wichtigen Positionen, Das 
willkürliche Recht der alten Privilegiengesellschaft wird auf¬ 
gehoben. Es findet ein neues Recht Einzug, das sich an Frei¬ 
heit und Gleichheit zu orientieren beginnt. (...) 


Schon vor dem Fest äußert sich hier und da eine radi¬ 
kale Sozialbewegung. Angesichts des zunehmenden Hungers 
kein Wunder. Was die Armen und Machtlosen denken und 
gar sagen, pflegen unsere Geschichtsschreiber nicht zu über¬ 
liefern. Das würde die glanzvolle Feststimmung: eh nur 
trüben. 

Bei der Beschäftigung mit Hambach stieß ich im Lahdes¬ 
archiv Speyer auf einige höchst verdächtige Aktenbündel. 
Sie tragen den bedenklichen Titel „Drohbriefe". Je nach 
Standpunkt kann das einen gruseligem Schauder tiefer"freu¬ 
dige Neugier erwecken. Was Generationen von Geschichts¬ 
schreibern vor mir höchstens mit spitzen Fingern und ängst¬ 
lichem Blick hinter sich überflogen halbem: fnigert, entpupp* 
sich als eine vorzügliche Quelle über die soziale Protestbe¬ 
wegung. 

Aus diesen Drohbriefen greife ich ein Beispiel heraus, in 
dem die Unterschicht zur Sprache kommt, in einet Mi¬ 
schung aus Not und Wut. Im September 1830, also nur zwei 
Monate nach der neuesten französischem Revölution, 
schlägt eine unbekannte Person nachts auf dem Marktplatz 
von Kirchheimbolanden folgenden Drohzettei am: 

„Die Stund ist da, gieriger Landrat, dm Bruck der Ar - 
men zu brechen . Entschließe dicht Die Waffen sind be¬ 
rät, das Werk zu vollziehen. Die Stunde näht sich 
Gieriger - b edenket” 

Die Ortsbehörde schäumt, läßt nachforschen. Den Autor 
entdeckt sie nicht. Dennoch glaubt sie, ganz genau zu wis¬ 
sen, dieser Zettel könne nur das Werk eines Faulenzers oder 
eines Branntweinsäufers sein. 



im Frühjahr ■ .Heft 5 
THEMEN: 

Interview mit Murjray Bookchin 
über den Anarcho-^yrii^ti rwili« imi^ 

Radio Libertaire'" ! 

Klaus Haag: 

Der übriggebliebene Revolutionär 
William Morris* Kunde von Nirgendwo 
Selbstverwaltung- ohne Anschluß? 
Informationen & Rezensionen 

Peterson 

Muhrenkamp 42, D-4330 Mülheim 

Probenummer nur gegen 2®-DM 
in Briefmarken 

^ . .. . .. ; ; • —^ 

V Journa 1 zur Kultur der Anarchie,^/ 











Unabhängig davon tauchen in den nächsten Monaten 
noch an anderen Orten der Pfalz weitere Drohbriefe auf. 
Diese Sozial beweg ung der Hlabenichtf, der von der Besitzde¬ 
mokratie ausgeschlossenen armen Schlucker findet keinen 
Eingang ins deutsche Nationalfest von Hambach. Dort do¬ 
minieren gutsituierte Ideologen, die die politische Selbstre¬ 
gierung des Bürgertums anstreben. Die Forderungen der Un¬ 
terschichten kommen ihnen vor wie das leise Grollen eines 
fernen Gewitters. Da hilft nur das Übertönen durch die ei¬ 
gene Propagandatrommel und das Beten, das Gewitter mö¬ 
ge doch ohne Schaden vorüberziehen, im schlimmsten Fall 
beim Nachbarn einschlagen. 

8 

Soziale Fragen bewegen die Hambacher noch nicht. Es 
zieht zwar ein mächtiger Demonstrationsblock erboster 
Winzer unter einer schwarzen Fahne mit der Aufschrift 
„Die Weinbauern müssen trauern" mit auf das Schloß, aber 
Wirth, der Herausgeber der Festschrift, schließt deren Pro¬ 
testlied aus dem bald danach erscheinenden Buch aus. Die 
Hambacher Redner lehnen jede Verbindung mit damaligen 
Hungerunruhen und Protestbewegungen auf dem Land ab. 

Bei zunehmendem Unwillen erinnern sich die Pfälzer ei¬ 
nes alten Freiheitssymbols, das zur Zeit ihrer Großeltern 
und Eltern mit der Französischen Revolution ins Land ge- 
kommen'ist. Schon Monate vor dem Hambacher Fest wach¬ 
sen wieder Freiheitsbäume aus dem Boden. 

Die die Obrigkeit beeindrucken wollen, schließen sich 
zusammen, ziehen in den Staatswald, fällen verbotenerweise 
einen schlanken, hohen Baum, schleppen ihn auf den 
Marktplatz, schmücken ihn mit Fahnen und irgendwelchem 
lustigen Zeug, je nach Geschmack und spontanem Einfall, 
richten den Baum auf, tanzen drum herum und feiern ihr 
Freiheitsfest. (...) 

Die soziale Protestbewegung gipfelt schließlich in Hun¬ 
gerunruhen und regelrechten Angriffen auf die Ortsobrig¬ 
keiten. Einige Bürgermeister werden von den rebellischen 
Leuten einfach abgesetzt. Das Volk entdeckt recht prak¬ 
tisch den Vorzug des imperativen Mandats. Wer sich zum 
Unterdrücker hergegeben hat, ist zu stürzen. Auch diese 
nützliche Idee fällt heute aus dem Rahmen des Erlaubten 
heraus. 

Am schärfsten geht es in der Nähe von Kaiserslautern im 
Dorf Alsenborn her. Die Leute sind völlig verarmt. Um 
nicht verhungern zu müssen, können sie sich nur noch in 
den Staatswald schleichen und Brennholz mitgehen heißen. 
Dessen Verkauf an vermögende Bürger bewahrt sie vor dem 
Krepieren. Einerseits ist die Not in diesem Dorf so groß, an¬ 
dererseits die Erkenntnis, man müsse sich selbst helfen, so 
allgemein verbreitet, daß Alsenborn damals die meisten 
Holzfrevler der Pfalz aufzuweisen hat. 

Was ist eigentlich ein Holzdiebstahl mit knurrendem Ma¬ 
gen, verhungernden Kindern im Vergleich zum Kommando 
über einen polizeilichen Prügeltrupp? 

Die Alsenborner bringen die weitreichenden, noch heul¬ 
te nicht ralisierten Ideen hervor. Sie drängen aun Jne gründ¬ 
liche Änderung der Besitzverhältnisse. Freiheit erscheint ih¬ 
nen als der Zustand, in dem es keine Herrscher mehr gibt. 
Sie sehnen sich danach, daß ein Volk auch ohne Obrigkeit 
leben kann. (...) 

9 

Wenige Wochen nach dem Hambacher Fest geht eine 
Verhaftungswelle über das Land. Einige der führenden Köp¬ 
fe flüchteten rechtzeitig nach Frankreich. 10 Redner wer¬ 



den festgenommen. Gegen sie wird ein Hochverratsverfah¬ 
ren eingeiertet, das nach dem geltenden französischen Recht 
vor einem Geschworenengericht stattfinden muß. So sitzen 
in Lahdau in der Pfalz vermögende Bürger über die Ange¬ 
klagten zu Gericht LJ 

Nach wochenlangen Verhören verkünden die 12 Ge¬ 
schworenen ihr Urteil. Atemlose Stille im improvisierten 
Gerichtsaal von Landau. Zur Einschichterung der Ge¬ 
schworenen wie der Zeugen hatte das bayerische Militär in 
der Stadt mehrfach Schlägereien mit Demokraten provo¬ 
ziert. Hohe königliche Regierungsvertreter sitzen drohend 
ih der 1 . Bank. Der Sprecher der Geschworenen verkündet: 

alle Angeklagten, beschuldigt des Hochverrats, sind nicht 
schuldig. 

Der Jubel der Pfälzer bringt den bayerischen Königshof 
zur Weißglut Die soeben Freigesprochenen werden wegen 
Bagatellen wieder verhaftet. Der eine soll den König, der an¬ 
dere einen Beamten beleidigt haben. Solche Dinge werden 
nicht vor den Geschworenen verhandelt, sondern vor mehr 
oder weniger unterwürfigen Berufsriehtern, die nach dem 
Königshaus schielen. 

Die Pfälzer Demokraten lassen sich nicht lumpen. Sie 
wollen ihre Gefangenen befreien. Um Schnüffler wie Be¬ 
hörden zu ermüden oder abzulenken, setzen sie ein Knäu¬ 
el von Gerüchten in Umlauf. (...) 

Als Siebenpfeiffer dann tatsächlich befreit werden soll, 
nimmt niemand die ersten Verdachtsmomente ernst. Sei¬ 
ne Flucht erfährt ihre Krönung durch einen gelungenen 
Demokratenstreich: die letzte Nacht auf deutschem Bo¬ 
den, bevor er ins Elsaß geht, verbringt Siebenpfeiffer un¬ 
ter dem Dach des Schwurgerichtsvorsitzenden, der ihn erst 
wenige Monate vorher freigesprochen hat. Wieviel schlech-* 
ter ist dagegen heute die Situation politisch Verfolgter! 









11 

Es ist nicht zu leugnen: die Hambacher siegten nicht. Die 
Herrscher blieben am Ruder, gestützt von Speichelleckern 
und vom Militär. Viele Demokraten mußten emigrieren. Erst 
1848 kamen sie wieder. Aber noch einmal verloren sie. 

War also alles umsonst? Wäre es besser gewesen, alle 
Deutschen hätten sich unter Zipfelmützen begraben? 

Eine ganze Epoche, die des Biedermeiers, tat es. Diese 
guten alten Zeiten kehren nun mit der Nostalgiewelle zu* 
rück. Das sehen die höheren Herrschaften gerne. Und mit 
Begeisterung fummeln sie auch am Geschichtsbild herum, 
bis nur noch Beschaulichkeit und Trübsalblasen übrigblei¬ 
ben. 

In Wirklichkeit war das Hambacher Fest alles andere als 
I für dle Ka tz. D »e frühen Demokraten lernten eine Menge. 
Verfolgung und Emigration stießen ihnen die Nase darauf. 
Ohne sich untereinander zu organisieren und ohne die be¬ 
waffnete Macht kann eine Volksherrschaft nicht die Herr¬ 
schaft der Wenigem ablösen. 

Der Bürstenbinder Johann Philipp Becker zog die weit¬ 
reichendsten Konsequenzen. Als die nächste Chance zu ei¬ 
ner Revolution kam - das Jahr 1848 - stellte er in der 
Schweiz eine Legion deutscher Arbeiter auf, um mit ihnen 
in Deutschland der Republik zum Sieg zu verhelfen. 1849 
| befehligte er im letzten Aufstand, in Baden, als General ei- 
j ne Division, in der vorwiegend Bauern und Arbeiter kämpf- 
j ten. 



1882 steht die 50-Jahrfeier ins Haus. Der Regierung 
j schwant böses. Die Sozialdemokraten sind seit vier Jahren 
j unterdrückt. Damit sie nicht ein neues, nun ein sozialisti¬ 
sches Fest begehen, wird die 50-Jahrfeier kurzerhand ver¬ 
boten. Becker, der letzte noch lebende Veteran von 1832, 
schickt aus dem Genfer Exil! einen Offenen Brief an seine 
Parteifreunde, als Flugblatt. Wo immer die Polizei ein 


Exemplar erwischt, beschlagnahmt sie es als subversiven 
Sprengstoff. 

Was täten heute die Sozialdemokraten in dieser Situa- ! 
tion? Erraten! Sie zögen sich ihre Zipfelmützen tief ins Ge¬ 
sicht, unter dem wiehernden Gelächter der Herrschenden. 

Nicht so im Jahr 1882, vor 100 Jahren. Eine Gruppe 
pfälzischer Sozialdemokraten, darunter der Parteivorsitzen- j 
de, ersteigt nachts den Schloßberg, um oben ein neues 
Freiheitssymbol weithin sichtbar zu machen: eine rote Fah¬ 
ne. Wen treffen sie wohl oben an? Eine Masse von Polizi¬ 
sten. Die roten Anhänger des Hambacher Festes kommen In 
Haft (...) | 



Hambach kann, wie ein Gespenst/ keine Ruhe finden, 
Die Massenkundgebung gegen die Herrschenden gewinnt für 
jede Generation eine neue Aktualität. Das spüren selbst die 
Machthaber von heute. Die Landesregierung von Rheinland- 
Pfalz wird das Festgelände für zehn Tage abriegeln. Sie al¬ 
lein hat festgesetzt, wer dort oben was für wen veranstalten 
darf. Getreu in den Fußstapfen des Fürsten Metternich. Ein 
Heer von Bereitschaftspolizei und Bundesgrenzschutz wird 
aufmarschieren. 



8 










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Signalpfeife 


Wir verlassen Hambach mit den letzten Streiflichtern. 


, STREIFLICHT: 

Ende Mai lassen die Medien eine Hambach-Welle über 
uns zusammenschlagen. Der gleichgeschaltete Teil der Be¬ 
wußtseinsindustrie klopft uns auf die Schultern, wie herr¬ 
lich weit wir es doch gebracht haben. Alles, was die alten 
Demokraten wollten, haben wir. Außerdem sind wir die 
größten beim Zweitauto, beim Bier, beim Autobahnenbau, 
bei der Zweitwohnüng. (...) 

STREIFLICHT: 

Bei der 200-Jahrfeier des Jahres 2032 treten einige Vete- 
raninnen und Veteranen von 1082 auf. Sie erzählen den un¬ 
gläubigem, erstaunten Jüngeren! vor welchen Gefahren da¬ 
mals die Weit gestanden sei. Die Jahrgänge 2000 wollen 
nicht glauben, daß einst die Abgeordneten und Regierungen 
ungestraft auf den Interessen des Volkes wie auf einem 
Trampolin herumspringen konnten. Sie bekommen ihren 
Mund nicht mehr zu, daß einst die Arbeitenden sich krumm j 
fegten, um ja so viel zu produzieren, daß sich die Mensch- j 
heit 16 mal in die Luft hätte sprengen können. j 


Am eigentlichen Festtag, dem 27. Mai, dem Donnerstag 
vor Pfingsten, soll ein historischer Festzug mit Biedermeier¬ 
kostümen die Herzen der Herrschenden laben. Tausende 
staatlicher Gewalttäter haben die Aufgabe, jeder uner¬ 
wünschten Person den Zugang zur Geburtsstätte der deut¬ 
schen Demokratie zu verlegen. Die Einsätze sind schon lan¬ 
ge geprobt, sie sitzen: Wyhl, Brokdorf, Kalkar, Gorleben, 
Flörsheimier Waid für die Frankfurter Startbahn West. 


Die alten Hambacher kämpften gegen die Pressezensur, 
für jegliche Freiheit des Denkens. Was haben die Verwalter 
der Macht davon verwirklicht? Bel den Masseneinsätzen der 
Polizei erfreuen sich inzwischen unbequeme Journalisten 
und Reporter des bevorzugten Hasses polizeilicher Schfa- 
gerbanden. Meine Journalistenkolfegen in der IG Druck und 
Papier häufen dazu Berge von Beweismaterial auf. Die einst 
ersehnte Freiheit der Presse ist inzwischen zu einem käuf¬ 
lichen Gut heruntergekommen. 

Die alten Hambacher bekämpften jegliche Gewaltherr¬ 
schaft. Jeder Aufmarsch massenhafter Polizeikräfte beweist, 
daß d ie Utopie der Hambacher noch Immer vor uns liegt 

Die alten Hambacher sträubten sich gegen die Militarisie¬ 
rung der Gesellschaft. Die Pfalz hat sich inzwischen zum 
größten Luftlandeplatz der Amerikaner in Europa verwan¬ 
delt. Hambach ist noch nicht eingehojt. 

* Als Verfolgte solidarisierten sich die alten Hambacher 
mit den Verfolgten anderer Nationen. Bei uns reicht das nur 
bis zum Osten und nur für solche, die keine Sozialisten oder 
Kommunisten sind. Mit den Folterknechten der übrigen 
Welt herrscht eitel Eintracht, des lieben Geschäftes wegen. 
Die Mißhandelten, die zu uns flüchten, müssen milder Aus¬ 
weisung rechnen, den sicheren Tod vor Augen. (...) 

















































Von März bis Mai 1981! veröffentlichte die dänische Tageszeitung „Information" eine '»4-teifige Ar^elserie unter dem Titel: 
„Der spanische Bürgerkrieg — damals und heute". Die Artikel haben folgende Titel: 


1) die Wahrheit über den Bürgerkrieg geht der spanischen Jugend erst jetzt auf, 

2) „Kreuzzug gegen die roten Horden" f 

3) Gespräch mit Jorge Semprun 

4) - im SF abgedruckt - 

5) über die katatonische Autorin Mercö Rodoreda * \{ 

6) der Kriegi ist nicht zu Ende — auch nicht der der Forscher 

7) Alltagsleben im Bürgerkrieg (und über die deprimierende Presseberichterstattung in Dänemark)! 

8) Hitlers Intervention - ein Stück Interessenpolitik 

9) die Widerstandsbewegung begann mit den Spanienfreiwilligen 

10) als Franco die Frauen zurückschickte zu: Kinder, Kirche und Küche M 

11) die Republik der Dichter, der Dichterkrieg || 

12) über den Bürgerkrieg als Propagandakrieg um die Weltöffentlichkeit f Ir 

13) über den Zusammenbruch der Republik und des Kulturkampfes | | 

14) über die Mach Wirkungen bis zum Kalten Krieg ' \Lr 



So wie der Vietnam-Krieg zum ersten großen TV-Krleg 
wurde, produzierte der spanische Bürgerkrieg den ersten 
Krieg in Regie des Ton-Films. — dank der Wochenschau als 
Nachrichtenmedium. Die republikanische Filmproduktion 
kann in Reichtum und Menge mit dem sowjetischen Doku¬ 
mentarfilm der 20iger Jahre verglichen werden, nicht zu¬ 
letzt über den Anarchismus als Idee und Lebensform. Auch 
auf Francos Seite wurde der Film als Nachrichten- und Pro* 
pagandamediuims gezüchtet. Trotz großer Verluste und Zer- 
schnippelungen handelt es sich um ein einzigaiTife&IWafp- 
rial, das seit 1979 für die Forschung freigegeben wurde. Cir* 
sten Jdrgensen, der Geschichte an der Universität Kopenha¬ 
gen studiert, beschreibt dies auf der Grundlage von Spezial¬ 
studien in den Filmarchiven von Madrid und Barcelona. 


Als im Sommer 1936 der Bürgerkrieg ausbrach, waren 
die Zeitungen nicht mehr die einzigen, welche die Nachrich¬ 
tenvermittlung prägten, weil die Filmwoehenschaugesefl- 
schaften in Europa und den usa sich als interessante Alter- 
native etabliert hatten. Mit dem Durchbruch des TonfljÄjs 
um 1930 herum entstanden eine Reihe von Wöchehscha^ " 
gesellschaften, die sich anfangs ausschließlich auf die letch- 
tere Unterhaltung konzentrierten; man sah Sich 
zu diesem Zeitpunkt selbst nicht als ernster idhko|i^i^S| 
Nach richten Stoff. Dieses Verhältnis änderte sich indessen 
schnell und sie versuchten rasch, soweit mög.Hoh ? 
sationsgeprägte Nachrichten zu bringen# 

Charakter des Marktes. Die Ware sollte sich verkäüfÄrt 

Zum Zeitpunkt des Putsches der Generale war der Plfn : ; A 
in der Nachrichtenvermittlung ein wichtiger Faktor 
den — mit den Einschränkungen, dlie im 
diums und seinen technischen Bedingungen lagen. Man 
te sich einen Markt gesichert, der — Zuschauerzahfe^^ife.^; 
traeht gezogen — danach aussah, ein Niveau halten zu kön¬ 
nen. Der Bürgerkrieg war eine willkommene Gelegenheit, 
seine Stärke zu zeigen — und, wenn es sich so sagen b§t# 
daß der Vietnam-Krieg der erste große „TV-Krieg" 
wurde der spanische Bürgerkrieg der erste Kriegi in der ftegfe r 
des Tonfilms. • Jaääia 






Speziell England schickte eine große Anzahl Filmleute 
nach Spanien. Während des ganzen Krieges zeigte man prak¬ 
tisch gesprochen jede Woche irgendwo in England journali¬ 
stisches aus Spanien. Aber auch aus Deutschland, Frank¬ 
reich, den USA, Italien und der Sowjetunion kamen Film¬ 
leute und parallel zu den Wochenschaugesellschaften arbei¬ 
teten Dokumentarfifmer, die Themafilme zum GebraUcfi für 
die heimische Debatte und/oder Propaganda herstellten. 
Beispielsweise lassen sich der Holländer Joris Ivens [Sparthh 
Earth) und der Russe Roman Karmen (Ispantjä) erwähnen, 
— beide auf republikanischer Seite. 

Auf nationalistischer — oder francistischer - Seite film¬ 
ten der deutsche Karl Ritter (Im Kampf gegen den Welt¬ 
feind — den Kommunismus, versteht sich) und spater ein 
großer Film über die Legion Condom die deutsche Luftwaf¬ 
feneinheit, die Hitler zur Uhferstötzung Francos einsetzte, 

' und'die u.a. fit die Tw^bpmMatdtiefuri$Gmrn\ea$ verant¬ 
wortlich war. Die deutsche Filmproduktion vom Bürger¬ 
krieg;^ übrigens überraschend klein zu sein. Was ver¬ 
mutlich auch daran lag, daß man die fieimatfront für wich¬ 
tiger hielt. Bekanntlich schmiedete man große Plane und 
brauchte einen großen Propagandaapparat, um eine entspre¬ 
chende Haltung in der deutschen Bevölkerung zu schaffen. 

Die drei ersten chaotischen Tage des Bürgerkrieges (17.— 
i 19, Juli 1936) fielen nicht ganz so aus, wie sie von den 
waren* Madrid und Barcelona verblie- 
härtfiteb in den Händeh der Republikaner - der gesetz- 
| Regierung — und wurden von Francos Truppen 

ilj der Schlußphase des Krieges, 1939 eingenommen. 
J§I|Ä hatteentscheidende Bedeutung, für die ■ Filmproduk- 
tion, mit welcher im Laufe des Krieges begonnen wurde. 

< , in Mladrid und Barcelona gab es die meisten und größten 
Filmstudios, weshalb die nationalistische Seite um Hilfe 

Studios in ifißgt 

^böa.^r^erfflgung, doch Vöt allem half Deutschland mit ■ 
/■'iiterraiien: ihren. Brüdern im 'iete^Ö'ie Geyer-Studlios in; 
Berlin wurden ein Zentrum der natipnallstischfln r .Pilmpro- 
'Gerife# von der Aufnahme, bis zur späteren 
Bearbeitung des Filmes, wurde zur Verfügung gestellt und 
hier wurde auch die spanisch-deutsche Filmzusammenarbeit 
ffiziell gemacht: in der Gesellschaft Hispano-Filmprodu 


wwii» 


iS . 


Ätfia mm 









tion. Die Splelmöglichkeifen in Spanien waren so weit 
reichlich, in dem man alle Kinos der großen Städte benutz¬ 
te, die von Franco-Truppen erobert waren. 

Im republikanischen Lager begann eine Produktion ohne 
Vergleich in der Geschichte des spanischen Dokumentar¬ 
films — in Reichtum und Menge vergleichbar mit dem sow¬ 
jetischen Dokumentarfilm zu Beginn der 20igier Jahre. Un¬ 
zählige Produktionsgesellschaften — private und offizielle — 
entstanden und hunderte von Dokumentarfilmen und Wo- 
chenschauibeiträgen wurden gedreht Für die größte Produk¬ 
tion zeichneten Kommunisten und Anarchisten. Sie über¬ 
nahmen ziemlich schnell - und als Folge der Revolution, 
die im Kielwasser des Putsches der Generale wuchs - ver¬ 
schiedene Filmstudios in Madrid und Barcelona. Die grö߬ 
ten Gesellschaften waren: SJ.E.-Films der GNJ-FAI, die 
Organisationen der Anarchisten; „Film Populär" von den 
Kommunisten geleitet und die Katalanische Laya-Films, zu¬ 
gehörig der Generalität von Cätalunya. Laya-Films produ¬ 
zierte u.a. eine Wochenschau - Espaha al dfa - die in Kas- 
tilischer und Katalanischer Version verbreitet wurde. Wo 
die weitaus minderen Produktionsgesellschaften im natio¬ 
nalistischen Teil Spaniens an strammeren Zügeln gehalten 
wurden und eine Einheitsideologie repräsentierten, da war 
die republikanische Filmproduktion in ihrer Sym- und Anti¬ 
pathie sehr unterschiedlich. Das lag natürlich daran, daß kei¬ 
neswegs eine ideologisch/politische „Einheitsfront" existier¬ 
te: das republikanische Lager bestand aus Sozialisten, Radi- 
kalisten, Liberalen, verschiedenen Parteien der Autonomen 
Kataloniens und den baskischen Provinzen, „Trotzkisten", 
Kommunisten und nicht zuletzt aus Anarchisten, die in der 
1. Hälfte des Bürgerkrieges ihre bisher größte Durchschlags¬ 
kraft in der Geschichte Spaniens - und Europas — erreich¬ 
ten. Während des Krieges geschieht eine Machtverschiebung 
im Richtung kommunistischer Dominanz, diie speziell zu 
Lasten der „Trotzkisten" (P.O.U.M.) und der Anarchisten 
geht. 

Die republikanische Filmproduktion weist eine entspre¬ 
chende Vielfältigkeit der Inhalte auf. Daß es eine einigerma¬ 
ßen gleichmäßige Produktion während des Krieges gegeben 
hat;, läßt sich auch nicht sagen. Dieser hing von internen 
Streitigkeiten auf republikanischer Seite und dem militäri¬ 
schen Vorrücken bei den Nationalisten ab. 

Der allererste Film über den Krieg ist von Anarchisten 
produziert: Reporiaje del movimiento revolucionario en 
Barcelona (Reportage von der revolutionären Bewegung 
Barcelonas — dem Kernpunkt der Anarchisten). Er wurde 
im den ersten Tagen nach dem Putsch aufgenommen, — 
während die revolutionäre Stimmung ihren Höhepunkt in 
Barcelona erreichte. Der Film zeigt hauptsächlich Bilder ab¬ 
gebrannter und zerstörter Kirchen und gibt sonst Eindrücke 
wieder über das „beträchtliche" Leben auf Barcelonas Stra¬ 
ßen und Plätzen. Überall sind tausende von Menschen zu se¬ 
hen, in ständiger Bewegung, Fahnen und Transparente 
schwingend. Der Sprecher spricht hauptsächlich über den 
Verrat der Armee, der Kirche und von der Revolution der 
Arbeiter dagegen. In diesen Tagen war es im republikani¬ 
schen Spanien beinahe ein normales Versehen, daß Kirchen 
niederbrannten, was vor dem Hintergrund der traditionellen 
Unterdrückung durch die Kirche gesehen werden muß. Die 
darauf folgende anarchistische Filmproduktion wurde - 
trotz ihrer kurzen Dauer - ziemlich umfassend, was darauf 
deuten könnte, daß man sich der Ausnutzung des Filmme- 
diums bewußt war. 



Wenn man den Film als historische Quelle heranzieht, 
um Meinungen und Haltungen, kollektives Unterbewußt¬ 
sein, Selbstdarstellung und ähnliche Begriffe zui klären, 
dann ist der anarchistische Film eine Goldgrube zum Ver¬ 
ständnis der anarchistischen Idee In Spanien am Anfang des 
Bürgerkrieges. Oder enger formuliert: zum Verständnis des 
Teiles der anarchistischen Wirklichkeit, die man — bewußt 
oder unbewußt - filmen ließ. Ein Beispiel: die spanischen 
Anarchisten behaupteten auf allen Gebieten die Gleichbe¬ 
rechtigung der Geschlechter, was zu der Zeit absolut nicht 
mit der spanischen Lebensweise übereinstimmte. In den 
Filmen sehen wir auch Männer und Frauen in Kämpfen an 
der Front und viele Frauen treten bei verschiedenen Mas- 











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5 , .■■;■ 

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senveranstaltungen von Milizen und zivilen Anläßen auf. 
Sie tragen eine Kleidung, die als Kampfuniform benutzt 
wurde, ein Symbol der Volksmiliz. Oft werden Gruppen 
von Frauen in Nahaufnahmen gezeigt, die zur Ehre der Ka¬ 
mera Gewehre schwingen, während der Sprecher erzählt, 
daß die Frauen, gleich wie die Männer, am Kampf gegen 
den Faschismus teil nehmen. In einigen Situationen hat 
man also bewußt die Haltung zur Gleichberechtigung un¬ 
terstreichen wollen. 

Darum ist es wichtig zu sehen, daß Sn Filmen, d ie v o n 
der Etappe handeln, das alte traditionelle Muster benutzt 
wird. In Barcelona trabaja para el frente (Barcelona arbei¬ 
tet für die Front) und El frente i la retagmrdia {Die Front 
und die Etappe) werden Aufnahmen von der Fabrik ge¬ 
zeigt, die verschiedene Versorgungen für die Front bear¬ 
beitet, u.a. eine Lebensmittelfabrik, die einen Überfluß von 
Leckereien aus der feineren spanischen Küche zeigt in die¬ 
sen Szenen gehen Frauen vor allem den Männern zur Hand. 
Sie sind Sekretärinnen, nähen Uniformen, schmieren Bröt¬ 
chen, schleppen Rohwaren in die Packereien, schreiben Ma¬ 
schine und sind Botinnen für diverse Beschlüssefasser und 
Koordinatoren, die alle Männer sind. Die Aussagen — oder 
wenn man will Botschaften — dieser Filme wollen zualler¬ 
erst zeigen, daß Arbeiter ausgezeichnet im Stande sind, d|e 
Produktionsmittel zu übernehmen, - aber ich finde es inte¬ 
ressant, daß dieses andere Bild der Frau sich deutlich in die 
Filme geschlichen hat und dadurch auch von der anderen 
Realität erzählt, als jener, der man in der erklärten anarchi¬ 
stischen Idee Ausdruck geben will. 

Aber insgesamt drücken die Filme auf eine hervorragen¬ 
de Weise Facetten des Experimentes aus, das man anarchi¬ 
stische Lebensweise nennen könnte. Obwohl das ganze un¬ 
ter der Regie des Krieges abläuft und natürlich dadurch ge¬ 
prägt ist, läßt sich sagen, daß man bestrebt war, sich nicht 
nur als heroischen Frontkämpfer darzustellen, — was in ek. 
nigen Filmen der Fall ist, — sondern sich eine Identität in 
der spanischen Gesellschaft zu schaffen suchte« MSö“SUChÄ 
man Freundschaft und Gleichberechtigung därzustelleh, 
auf allen Ebenen und in einer unmil itärischenj 
nierten Haltung. , ; / J ^ 

Die kommunistische Filmproduktion gehörte vor r e|jpf|J 
zu Madrid, und sie zeigt uns ganz andere Bilder im¥ertfiif ; ; 
nis zu dem relativ ruhigeren Frontabschnitt in Katatonie^ 
Madrid war während des Krieges unter konstanter Belage¬ 
rung. In einigen Fällen versuchte man ein einigermaßen 
friedliches Alltagsleben zu zeigen, verbunden mit dem Wil¬ 
len zum Widerstand. Doch den meisten Raum nehmen die 
harten Kämpfe um Mladrid ein und die wiederholten Bom¬ 
bardierungen der Stadt. 


Putschisten in Spanien 


Im Verhältnis zum republikanischen Film ist die franci- 
st ische oder nationalistische .Filmproduktion beständig ein¬ 
spurig, Sie ist ziemlich auf das Heer fixiert, die militärischen 
Leiter und insbesondere auf Generalissimo Francisco Fran¬ 
co, der nach einem internen Putsch im Oktober 1936 der 
absolute Führer der Aufständischen wurde. Den größten 
Platz in den Filmen nehmen die militärischen Operationen 
ein. 


Aufgrund der zuvor beschriebenen Schwierigkeiten kam 
die nationalistische Flimproduktton ziemlich spät in Gang 
und von einer regelmäßigen Produktion kann man erst seit 
Anfang 1937 reden. Zu dieser Zeit beginnt eine feste Wo¬ 
chenschau, Notieiario Espanol (die spanische Wochenschau), 
die bis zum Ende des Krieges existierte. Sie ist vermutlich 
jene, di©-^später unter dem Namen No-Do (Notieiario Docu¬ 
menta!) bekannt wurde. Neben den Wochenschauen produ¬ 
zierte man eine große Anzahl Dokumentarfilme, die fast 
alle an der Front gemacht wurden und nach e inem Muster 
hergesteflt sind; Vorbereitungen und Beginn einer Schlacht, 
die Schlacht und schließlich der große militärische Ein- 


m i • fltle z jfrjT (W fiwtkfwt/tf 












marsch in das eroberte Gebiet; ein solches Ergebnis war lei¬ 
der allzuoft der Fall. Danach rückten Frauen nach, um mit 
humanitärer Arbeit zu helfen, und es beginnt der Wieder¬ 
aufbau von dem, was als die „Zerstörungen der Roten*' be¬ 
zeichnet wird. In einigen einzelnen Filmen werden Bilder 
von Gefangenen gezeigt, die „bekehrt" wurden - Bilder, 
die nicht gerade überzeugend wirken. 

Die nationalistischen Filme sind durchschnittlich länger 
als die republikanischen, was daran liegt, daß viele von ih¬ 
nen Kompiiatbnsfilme sind, d.h. zusammengeschnitten aus 
schon vorhandenem Material, mit einem neuen Sprechkom¬ 
mentar versehen und evtl* mit neuem Material versetzt. Sol¬ 
che Filme sind Espana Heröica (Das heldenhafte Spanien) 
und Los conquistadores del Norte (Die Eroberer des Nor¬ 
dens). Der letztere handelt vom Krieg im, nord-östlichen 
Spanien, während der erste den Beginn des Krieges bis zum 
Oktober 1937 behandelt. In Espana Heröica wird auch ein 
Teil republikanisches Material gezeigt, speziell anarchisti¬ 
sches, das vermutlich den Franco-Truppen beim Vorrücken 
in die Hände gefallen ist. Das Zusammen schneiden dieses 
Materials, um es seinem Ziel dienbar zu machen, es in Kon¬ 
trast zu den nationalistischen Aufnahmen zu setzen, er¬ 
reicht einen starken agitatorischen Effekt - das „Gute" 
gegen das „Böse", im Maßstabe der Francisten. In diesem 
Film, wie in affen anderen nationalistischen Filmen, wird 
hervorgehoben, daß Francos Aufstand ein „Kreuzzug gegen 
die Roten" ist. 

Espana Heröica endet mit einem großen Abschnitt über 
das nationalistische Spanien hinter der Front* Junge Falan¬ 
gisten marschieren — Wiederaufbau der „roten Zerstörun¬ 
gen" — „umgedrehte Rote" nehmen mit Gesang ander Ar¬ 
beit teil — es wird In der Stadt und äuf dem Land gearbei¬ 
tet — und schließlich eine große inszenierte Trauerfeierlich- 
keit für die gefallenen Heiden, darunter General Emilie 
Mola und der Grundier der Falange, Jose Antonio. Unmif- 




14 felbar hiernach zeigt die Schlußszene des Films verschiede¬ 
ne Einheiten des Heeres, die auf einer Landstraße marschie¬ 
ren, neuen Siegen entgegen, während der Ton das Schlag¬ 
lied der Falange donnert „Cara ai so!" {Das Gesicht zur 
Sonne). The show must go on. Dieser pompöse Propagan¬ 
daeffekt hält einen Vergleich mit den miesesten nazisti¬ 
schen Fiimen aus der gleichen Periode aus. 

Der nazistische Film hat überhaupt weit mehr effekthä- 
schende Elemente. Ein anderes Beispiel ist der Mythos, den 
man in Verbindung mit der Befreiung des Schlosses Alcäzar 
in Toledo aufbaute. Ein Offizier der Moscaredo hieß, hatte 
sich hier in den ersten Tagen des Krieges mit einigen mili¬ 
tärischen Einheiten verbarrikadiert-Er weigerte sich, sieh 
der Regierung zu ergeben und die Belagerung des Schlosses 
begann. Aldizar wurde bald ein Symbol des nationalisti¬ 
schen Spaniens im Widerstand gegen die Unterdrückung, 
der sich die Nationalisten von Seitender > ? roten Horden"aus- 
gesetzt sahen — und Moscardo wurde zum Nationalhelden 
erhoben. Es gelang Franco von Süden her anzugreffen und 
die Belagerer mußten sich nach Madrid zurückziehen* Als 
Franco das teilweise zerbombte Schloß erreicht, sind die 
Fotografen zur Stelle und einige gefihlsstarHä Szenen spie¬ 
len sich vor den Kameras ab. Dadurch tragen die Bilder da¬ 
zu bei, den schon vorhandenen Mythos urh Alcäzar /ztj : ver- 




^® IM KAMPF GEGEN = DEN : #ELTFEINET 

Deutschland 193# 

^ Regie: Karl Rittet 
’ Untertitel: Deut sehe, Freiwillige in 

Spanien ' . . ■■■ ■; 

Verleih: Bunde sä rchiv 

Rückblick auf d|e pblitisehe Ent¬ 
wicklung in Spanien seit 1931, 

Beginn der nationalen Erhebung. 
Invasion der Truppen Francos mit 
Hilfe der Deutschen. 

Auslaufen deutscher Schiffe mit Frei¬ 
willigen aus dem Hamburger Hafen. 
Kampf um Alkajga#« Eingreifen 
italienischer Truppeti. 

Legion Condor (Bombardierung 
GÜERNICAS). 

Kampf um Teruel, Fall der Republik. 
Wenn man die beiden Fime in der hier 

angegebenen Reihenfolge sieht, dann 

kann man sich nur wundern, wie die 
Nazis mit demselben Wochenschau- ! 
material ein Jahr später etwas genau 
Entgegengesetztes von dem behaupten, 
was in HELDEN IN SPANIEN noch 
ihre Absicht war, nämlich die deutsche 
und italienische; Ihlervention gft VW#**: ' 
schweigen. IM KAMPF GEGEN DEN 
WELT FEIND schlachtet im Gegensatz 
dazu di^Heldentateri' der Legion 
Condor etc aus. In HELDEN IN • 1 

SPANIEN sind es »Bolsehewisteri”,i 

welche die verbrannten Städte zuiück- 
gelassen haben; IM KAMPF GEGEN 

wtrnr Tr*r»T!w 4..:**. vf; ' 








Nach Kriegsschluß erlitt dieses umfassende Filmmaterial 
ein trauriges Schicksal. Sämtliche Filme wurden zusammen¬ 
gepackt, und es dauerte mehrere Jahre, bevor vereinzelte 
Schnitte den Weg zu einer Leinwand in Spanien fanden. 
Dann in Form eines Kompilationsfilms über Spaniens Ge¬ 
schichte - natürlich von einem francistischen Gesichts¬ 
punkt aus. Es muß angenommen werden, daß ein großer 
Teil der Filme verloren lisf. Ich schätze, daß das heute exi¬ 
stierende, Material - welches den Hintergrund für diesen 
Artikel bildet - nur einen dritten Teil der gesamten spani¬ 
schen Fi Im produkt Ion ausmacht, die, wie gesagt, ganz 
enorm war. 

Sicher ist jedenfalls, daß sich das existierende Material in 
einem bedenklichen Zustand befindet. Hier denke ich spe¬ 
ziell an die katalanischen Wochenschauen von Laya-Film, 
die auf- und zusammengeschnitten wurden und danach in 
einer Reihe zahnloser Thema-Filme landete, so daß eine 
Wochenschau z.B. alles enthält, was an Botschaftsempfän¬ 
gen gezeigt wurde, eine andere handelt ausschließlich vom 
Blumenarrangements, eine dritte von Kunstmonumenten, 
usw. 

1972 gab der spanische Filmhistoriker Carlos Fernandez 
Cuenca ein 2-bändiges Werk über die Filme des spanischen 
Bürgerkrieges heraus: La Guerra deEspanay ei Cim , ein er¬ 
klärt francistisches Werk. Eine große Fifmografie im Buch 
enthält fast alles, was an Filmen über den Bürgerkrieg pro¬ 
duziert wurde, spanische und ausländische. Der republikani¬ 
sche Film wird verunglimpft, und der Ton das nationalisti¬ 
schen Films wird faktisch im ganzen Buch reproduziert. 
Dieses Buch ist eine einzelne Schwalbe. Seine Realisierung 
liegt eher an der Person Cuenca, als im selben Projekt be¬ 
gründet. Wie beim Film hat man auch auf anderen Gebieten 
Informationen über den Bürgerkrieg unterdrückt, fast alles, 
was über die offizielle Geschichtsversion hinausgeht. 

Dieses Verhältnis — was die Filme betrifft - änderte sich 
erst 1979. Einige Filmhistoriker mit Verbindung zum Film¬ 
archiv in Barcelona erhielten Material zur Durchsicht. Auch 
mir glückte es 1979 Zugang zum Material zu bekommen; 
ohne größere Probleme. 

Dieses Filmmaterial wurde das erste Mal öffentlich In ei¬ 
ner Veranstaltungsreihe des Madrider Filmarchivs im Sep¬ 
tember 1980 gezeigt. Kurz danach startete die große Wan¬ 
derausstellung über den Bürgerkrieg,, die - wenn auch etwas 
verwirrend - einiges Filmmaterial enthielt. 

Man könnte von der Ironie des Schicksals sprechen, daß 
zu dem Zeitpunkt, wo endlich das Filmmateriai über den 
spanischen Bürgerkrieg der Öffentlichkeit freigegeben wird, 
diese sieht, was der Beginn zu einem Neuen hätte sein kön¬ 
nen—im TV! 

in: Information, 13.3.1981 


Die geschlagene republikanische Ar¬ 
mee flieht nach Norden über die fran¬ 
zösische Grenze. Zehntausende spani* 
scher Soldaten werden von der franzö¬ 
sischen Polizei entwaffnet und in lan¬ 
gen Kolonnen zu Internierungslagern 
geführt. Für viele ist es ein Weg in 


o. januar 
1939 ziehen die 
italienischen Trup- 


x- mncos 

kämpfen, in Bar¬ 
celona ein. Die 

republikanische 


juiee nar den 

Regierungssitz 
kampflos geräumt 


stärken. Militärisch war die Befreiung von Alcäzar ohne grö¬ 
ßere Bedeutung. Eher muiß das ganze Ereignis als Konse¬ 
quenz der Jagd nach nationalen Symbolen gesehen werden 
und dazu hat man die Möglichkeiten des Filmmediums ent¬ 
deckt. Die Filme von Alcazar müssen sensationell gewirkt 
haben. 











CI RA-BIBLIOTHEK IN GENF 
WIEDERERÖFFNET 


Die Bibliothek des Internationalen Zentrums für Anar¬ 
chismusforschung (CIRA) ist nach zweijähriger Schließung 
wegen Reorganisation und Verbesserung des Katalogsy- 
stems wieder eröffnet worden. Die Öffnungszeiten sind je¬ 
den Dienstag 1 und Freitag von 17.00 bis 20.00, sowie nach 
Vereinbarung. 

Die CIRA Bibliothek hat 15000 Bücher und Broschüren 
in 27 Sprachen sowie eine große Anzahl anarchistischer 
Zeitschriften, Bücher können per Post ausgeliöhen werden. 
Das CIRA kann jede Art bibliographischer Abfragen beant¬ 
worten. 

Die Bibliothek wird von Lesegebühren (25 Schweizer 
Franken im Jahr, die auf das Genfer Postscheckkonto 
12-17750 einzuzahlen sind) und einigen Spenden finanziert. 
Die Verwaltung liegt in den Händen eines in Genf ansässi¬ 
gen Komittees. Die Bücher und Zeitschriften kommen zum 
Großteil aus Spenden oder Hinterlassenschaften. 

CIRA ist Mitglied der Federation Internationale des 
Centres d'Etudes et de Documentation Libertaire (F-ICEDL) 


SOZIALE VERTEIDIGUNG - 
VERTEIDIGUNG DES STAATLICHKEITSWAHNS? 


Volker Schössler 


und der International Association of Labour History Insti¬ 
tutions (IALHI). 

CI RA, Rue des Cedres 14, Postfach 51, 

CH-1211 Genf 13, Schweiz 



ln alternativen Kreisen und in der F»drtAeWe§ung 
wird sie als das Nonplusultra, als DIE Alternative zur militä¬ 
rischen Verteidigung angesehen: die soziale Verteidigung. 
Nur scheint wohl noch niemand der Frage nachgegangen zu 
sein, was denn da eigentlich verteidigt werden soll und o|b es 
sich denn überhaupt lohnt, die» Etwas zu verteidigen, sein 
Leben und seine Gesundheit dafür aufs Spiel zu setzen 
bzw. zu opfern (denn dieses Risiko gehen wir auch bei der 
sozialen Verteidigung ein, machen wir uns da nichts vor). 
Was wollen/sollen wir verteidigen? Den Staat, jenes imagi¬ 
näre Produkt menschlicher Phantasie, von dem Pierre Jo¬ 
seph Proudhon sagte, es sei „die üble Fhantasmaorgie des 
Geistes". Für Bakunin ist der Staat eine „Abstraktion, die 
das Leiben des Volkes verschlingt, ein unermeßlicher Fried¬ 
hof, auf dem alle wahren Hoffnungen, alle Lebenskräfte ei¬ 
nes Landes großzügig und andächtif sich haben hinschlach¬ 
ten und begraben lassen." Ein Gebilde also, das Kapitalis¬ 
mus und Imperialismus legalisiert, ja überhaupt erst deren 
Existenzen ermöglichen. Um einmal mehr Proudhon zu zi¬ 
tieren: „Es gibt nichts, absolut nichts im Staat — von der 
Spitze der Hierarchie bis hinab zu deren Basis —, wo nicht 
M ißbrauch abzustellen, Schmarotzertum zu beseitigen oder 
der Tyrannei ein Instrument zu zerstören wäre. Und sie er¬ 
zählen uns davon, diesen Staat beizubehaiten, die Zu¬ 
ständigkeit des Staates zu mehren, die Macht des Staates 
immer mehr zu stärken. Gehen Sie, Sie sind In keiner Weise 
ein Revolutionär!" I 

Oder verteidigen wir etwa unsere Freiheit? Weiche Frei¬ 
heit? Die Freiheit der Berufsverbote etwa, der Massen Ver¬ 
haftungen (Nürnberg!), das 2u«nmengekralppeltWirden 
auf Demonstrationen, die Freiheit des Arbeitsloswerdens, 
um somit zum Ausgestoßenen der „Gesellschaft" zu wer¬ 
den oder sich als jemand, der noch Arbeit hat (oder sollte 
man lieber sagen: der noch gezwungen ist, eine Arbeit zu 
verrichten,) sich durch immer größeren Leistungsdruck und 
ständig verschärfte Akkordhetze vorzeitig zum körperlichen 
und geistigen Wrack machen zu lassen? Ist es das, was wir 
sozial verteidigen, auf daß es anschließend, nach erfolgrei¬ 
cher Verteidigung, im selben alten Trott weitergeht, damit 
wir auch.in Zukunft verpestete Luft einatmen können und 
wir auch in Zukunft die Freiheit haben werden, mit Chemie 
vollgestopfte und vergiftete Nahrung zu uns nehmen zu dür¬ 
fen? I 


i 

■) 

i 
























Erich Mühsam 

STAATSVERNEINUNG. FREIHEIT ALS GESELL¬ 
SCHAFTLICHES PRINZIP u.a. Beiträge 

80 S., 5,40 DM, ISBN 3-8136-0024-6, 1. 

Auf 1. 1981 

Mühsam rechnet mit erfrischender Rigoro¬ 
sität mit Staat, Kirche, Vorurteilen und 
Halbheiten ab. Er weist nach, daß die 
Herrschenden ihre Legitimation auf Unwis¬ 
senheit und Untätigkeit der Beherrschten 
gründen. 

Reihe KONSTRUKTIV 10 


40 S., 4,- DM, ISBN 3-8136-0014-9, 1. 
Aufl. 1982 


Read unternimmt in dieser Schrift eine 
moderne Definition der grundlegenden 
Prinzipien der politischen Philosophie 
des Anarchismus. 


Reihe KONSTRUKTIV 5 


Unsere Heimat verteidigen? Das zubetonierte Land der 
AKWs und WAAs, das seinen Lebensraum, seine Biotope ge¬ 
waltsam und knüppelschwingend zerstört, um Startbahnen 
zu bauen und dem Imperialismus damit sein schmieriges Ge¬ 
schäft zu erleichtern? Das Land der SchmidtGenscherKohl- 
r StraußFilbinger und wie sie sonst noch heißen mögen? 

\ Dies alles soll ich verteidigen, dafür soll ich meinen Kör- 

jj per opfern, meine Gesundheit, die heute eh schon durch un- 

* sere „gesunde" Umwelt halb zum Teufel ist, meinen Seelen¬ 

frieden, sofern man in diesem Lande sich solch einen Luxus 
noch leisten kann? NEIN, NEIN und nochmals NEIN I h I 
Dieses möchte ich allen Friedensbewegten und Sozialen 
Verteidigern ins Stammbuch schreiben: man sollte, bevor 
man sich Gedanken über mögliche Verteidigungsformen 
macht, sich erst einmal realisieren, was man da eigentlich 
verteidigen will. Nach unserem Verständnis als Anarchisten 
kommen Kriege von den Staaten AN SICH, also gilt es, erst 
eine freie, nach libertär-sozialistischen (und auch basisde¬ 
mokratischen) Grundsätzen von unten nach oben aufgebau- 
te/funktionierende Gesellschaft zu schaffen/aufzubauen 
und sich danach erst Gedanken zur Verteidigung dieser Ge¬ 
sellschaft zu machen. 


"TU WAS DU WILLST" 

ANARCHISMUS - GRUNDLAGENTEXTE ZUR 
THEORIE UND PRAXIS 

- Hg» H. Ahrens/H.-j. Degen/Ch. Geist - 

235 S.,. 17,- DM, ISBN 3-8136-0018-1, 1. 
Aufl. 1980 ' 

Die umfassendste deutschsprachige Anar¬ 
chismusanthologie soll beitragen zur 
Auseinandersetzung zwischen Autorität und 
Freiheit* Texte u.a. von: Bakunin, God- 
win, Stirner, Kropotkin, Landauer, Mala- 
testa, , Mühsam, Rocker, "Prinzipienerklä¬ 
rung des Syndikalismus", Berkman, Gold¬ 
man, Tolstoi, Ferrer, Ramus, Rüdiger, 
Santillan, Ward, Souchy, Texte des deut¬ 
schem "Pragmatischen Anarchismus" u.a.m. 


Herbert Read 

DIE PHILOSOPHIE DES ANARCHISMUS 
- Mit einer anarchistischen Kritik an 
Herbert Read 


















fiicme 


Schreiben der ''Kleinen Strafvollstreckungs¬ 
kammer beim Landgericht Arnberg” (hier auszugs¬ 
weise dokumentiert): 

Rainer Schwarz verbüßt derzeit.,. Mit seinen 
Anträgen auf gerichtliche Entscheidung wendet 
er sich gegen Bescheide der JVA Arnberg vom 

a) 25,8.80 mit dem ein als Anlage dem Schreiben 
vom 21.8.80 beigefügter Entwurf eines Dis- 
kussionsprogramms der Gefangenenhilfegruppe 
Heidelberg angehalten wurde, 

b) 1.9.80 wobei ein dem Schreiben vom 28,8.80 
beigefügter gleichartiger Entwurf zurückge¬ 
halten wurde,und 

c) 16.9.80 mit dem ein Schreiben vom 15.9.80- an¬ 
gehalten wurde. Absender all dieser Schreiben 
war Rolf Ficker.Der Antragsteller trägt vor 
die Anhaltung sei willkürlich und widerrecht¬ 
lich erfolgt. Eine Gefährdung der Sicherheit 
und Ordnung in der Anstalt sei nicht gegeben. 

Die zulässigen Anträge auf gerichtliche Ent¬ 
scheidung sind nicht begründet. Die JVA hat zu 
recht die Schreiben des Rolf Ficker an den An¬ 
tragsteller diesem nicht ausgehändigt, weil der 
Inhalt das Siel des \bllzugs und die Sicherheit 
und Ordnung des Anstalt gefährdet hätte.(...) 
Dieser (beigelegte) Programmentwurf stellt die 
freiheitliche demokratische Grundordnung der 
Bundesrepublik deutschland in Frage und ist in 
seiner Grundtendenz nicht vereinbar mit den 
Zielen des moderenen rechtsstaatlichen Straf¬ 


vollzuges und dem Strafvollzugsgesetz, Der Ent¬ 
wurf unterstellt, in den Justizvollzugsanstalten 
der brd würden gesellschaftlich, wirtschaftlich 
und politisch benachteiligte Klassen gefangen 
gehalten. Im SrafVollzug präge sich der Rache- 
gedanke der Gesellschaft und nicht etwa ein 
Resoziallsierungsprogramm aus, das dem Täter ein 
Leben ohne Begehung weiterer Straftaten ermög¬ 
lichen könnte. Diese Darstellung soll bewußt den 
•Eindruck erwecken, in der brd herrsche Klassen-, 
justiz und in den Justizvollzugsanstalten•be— i 
fänden sich nur Personen, die politisch unbequem 
seien. Straftäter seien nur von der. besitzender^ 
Klasse aus Verzweiflung zum Begehen krimineller 
Taten gezwungen worden. (...) 

Nicht er (der Antragsteller) selbst müsse an 
einer Resozialisierung mitarbeiten, nicht er ■ 
selbst müsse sein künftiges Leben andern, sondern 
die Gesellschaft müsse geändert werden, Rolf 
•Ficker verbreitet hiermit anarchistisches Ge¬ 
dankengut, das darüber hinaus auch die frei¬ 
heitliche—demokratische Grundordnung der brd . ! 
verletzt und damit auch die Sicherheit und Or- ! 
dnung der Anstalt. Die gleiche anarchistische 
Grundeinstellung kommt auch im Schreiben des 
Rolf Ficker vom 15.9.80 zum Ausdruck f wo er j 
wörtlich schreibt, er fühle sich als Anarchist, 
weil "ich alles ablehne, jegliche Staatsform, 

. Q S . fc e n o der tm Westen.“ Darüber hin aus 













suchten: Jemanden, der sie ernst 


Wir drucken im folgenden zwei Beiträge ab r die sich inhaltlich entsprechen, sich aber unserer Meinung nach trotzdem recht 1 
gut ergänzen. Da es sowohl Jochen wie Peter darum geht, eine piskussion in Gang zu bringen, erscheint es uns angebracht,| 
nicht den einen zugunsten des anderen im Papierkorb verschwindet* zu lassen! 

SCHULT-PROZESS 


-SF-Redaktion-j 


Peter Schult wird vorgeworfen, mehrere minderjährige 
Jungen verführt zu haben. Das ist nach § 175 Unzucht und 
wird mit Gefängnis bestraft. 

Schult ist kein Unbekannter. Durch seine Mitarbeit am 
„Blatt" und der Roten Hilfe ist er sowohl den Ltnksradika- 
len dis auch der Staatsschutzabteilung der Münchner Polizei 
bekannt. Durch seine Autobiographie (er nennt es eine Au- 
tobiocollage), in der er über seine Sexualität, über seine Be¬ 
ziehungen zu Jungen schreibt, durch zahlreiche Artikel und 
durch sein Auftreten in Prozessen, wo er sich offen zur Pä¬ 
derastie bekannte („ich werde weiterhin mit Jungen schla¬ 
fen weil ich der Meinung bin, daß man ihnen die Entschei¬ 
dungsfreiheit zubilligen muß, mit wem sie schlafen wollen 
oder nicht"! machte er vielen Schwulen und Piderasten 
Mut; —bei den bayrischen Sittenwichtern ist er ehtspre- 
chend unbeliebt. 

Seine Prominenz schützt ihn. Zu seinem Prozeß erschie¬ 
nen zahlreiche Artikel, auch jetzt im Knast wird er von 
draußen unterstützt. Gleichzeitig machte ihn sein Auftreten, 
sein „polizeibekannter Lebensstil" (ein Bulle, der ihn ver¬ 
haftete) zu einer Zielscheibe für die Staatsanwaltschaft. 

Staatsanwalt Simper ermittelte dann auch mit einer Ver¬ 
bissenheit, die gelegentlich den gesetzlichen Rahmen über¬ 
schritt. So wurde der Mutter eines nicht aussagebereiten 
Jungen mit der teilweisen Entziehuni des Sorgerechts ge¬ 
droht, in den Verhören wurden die Jungen efngeschücbtert 
und bedroht, um die Aussagen zu erreichen, die für die An¬ 
klage brauchbar waren. Währenddessen wurde Schult in der 
U-Haft für 10 Wochen isoliert, angeblich wegen TBC-Ver¬ 
dacht, der sich dann später als unbegründet herausstellte. 

Trotz den üblen Methoden der Staatsanwaltschaft sagten 
die Jungen aus, daß sie freiwillig und gerne zu Schult gegan¬ 
gen wären und sich bei ihm wohl gefühlt hätten. Selbst in 
der Urteilsbegründung weist der Richter ausdrücklich darauf 
hin, daß Peter Schult niemals Zwang angewendet hätte. 

Ein wichtiges Argument der Anklage war Schüfe 
„Uneinsichtigkeif'. Elfi Sitteh^rolch hat sich zu schämen 
und um ein mildes Urteil zu bitten. Wenn er stattdessen er¬ 
klärt, daß er nicht ein sieht, weshalb Gesetze und! Staatsan¬ 
wälte sein Liebesieben reglementieren sollten und deshalb 
^fit Einstellung des Verfahrens fordert, muß dem mit einer 
Strafe Rechnung getragen werden. 

' rückte.dann die verzerrte Optik der Staats¬ 
anwaltschaft, die 5 Jahre gefordert hatte, zurecht, und ver- 
| urteilte Pe|äj>zu 2 Jahren und 10 Monaten Knast ohne Be¬ 
währung. Das Urteil ist, verglichen mit anderen Prozessen 
ÖJlajjv fair, es liegt an der unteren Grenze der möglichen 

Prozeß ein Skandal, genau wie 
jeder Prozeß wegen Verführung Minderjähriger" genau 
wie der ParaGRAF 175 eine unverschämte E inmischung des 
S Staates in das Privatleben der Menschen ist. 

||vj.;.^fejpe-'Frage^ die- Im.Prozeß immer wieder auf-' 
• fluchte, war die Schädigung der „Opfer". 
ß. Die Jungen kamen freiwillig zu Bchult. Sie wußten, daß 
■ er schwuLfst, es für $i# zu sfia. ; ,Vfiafc 

leicht fanden sie bei ihm etwas, was sfe in ihren “ 






Das Landgericht Verden verurteilte im letzten Jahr ein Ehepaar wegen Kindsmißhandlung. Die dreijährige Sandra starb im 
Oktober 1978. Das Obduktionsergabnis: gerissenes Trommelfell, zahlreiche blutige Striemen, sehwereKopfverletZUFipn, 
schwere Verletzungen tm Genitalbereich, die auf eine Vergewaltigung des Kindes deuteten. Die Strafe für die beiden Sadi¬ 
sten: 1 Jahr mit Bewährung. u • 

2 Jahre mit Bewährung erhielt vor einem Jahr ein 31jähriger Bauer aus Unterneuses vom Landgericht Bam^r^weJnwmrf 
11.7 1980 seine 27jahrige Frau erdrosselt hatte. Strafmildernd war die Tatsache gewertet worden, daß die Frau-lbpilLieb¬ 
haber hatte, was den Täter zu einem "seelischen Krüppel" hatte werden lassen. (Beide Fälle aus dem STERN-Artikel "ihr 
teile deutscher Gerichte '81" vom 28.1.1982) 



BHHRfti 

wsm mit- 

- ■' 


lliiiiiliili 
Ä^aiSÄÄli 


Wenn der Selbstbetrug msscheidet, 
bleibt nur der Tod äs Lösung. Das 
4 "Exitus Batet** der alten Römer, das 
Recht auf den eigenen Ausgang, 

Ich könnte mir andere Jungem suchen, 
aber ich spüre immer öfter, daß das 
Eis zwischen mir und den anderen 
nicht mehr schmilzt. Früher hatte ich 
da nie Probleme, ich kannte nie die 
Schwierigkeit einer Kontaktarmut, ich 
fand, wie man so schon sagt, immer 
Anschluß. Ein Päderast muß fiippern 
können, dann gibt cs genügend Berüh¬ 
rungspunkte. Je öfter meine Kugel die 
Zeichen und Ziffern auf dem Flipper¬ 
automaten berührte, desto häufiger 
waren meine Berührungen an den ero- 
genen Zonen der Knaben, mit denen 
ich flipperte. Auch hier hat die Elek¬ 
tronik vieles zerstört, hat zwischen • 

; menschliche Berührungen verhindert. 
Ich kann mit der Elektronik nicht 
mehr so mit halten und das Eis bricht 
nicht mehr so häufig. 

Der Päderast lebt ständig in der Gefahr 
eine tragikomische Figur zu werden. 
Er besitzt nicht die Fähigkeit (oder 
ist es vielleicht ehe Unfähigkeit) mit 
dem Partner alt zu werden Die Natur 
zwingt ihn dazu, ständig neue Partner 
zu suchen, denn aus Knaben werden 
Jünglinge und Männer ; die dann von 
Frauen, Männern oder aber Knaben 
umschwärmt werden und von ihnen 
schwärmen 

Hier gleicht der Päderast immer häu¬ 
figer dem Sisyphos, der ständig einen 
Stein bergaufwärts wuchten muß, und 
immer wieder rollt der Stein den Berg 
hinunter * und das Spiel m beginnt von 
neuem . Nur hat Sisyphos den Vorteil, 
daß er aus der Welt des Mythos kommt 
und deshalb nicht älter wird. Der Pä¬ 
derast altert, die permanente Sisy- 
phosarbeit ermüdet ihn allmählich. Der 
Stein verletzt ihn immer häufiger, bis 
er eines Tages von ihm erschlagen 
wird. Man sollte deshalb beizeiten auf¬ 
hören, zumindest dann, wenn man 
spürt, daß die Eiszeit vorder Tür steht 
Peter Schglt * | 




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wmmsxsm. 

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zu hörte, wenn sie ihre Probleme loswerden wollten, „Ich 
habe viele gute Beziehungen zu Jungen, ich verstehe sie, ich 
spreche ihre Sprache, kann auf ihre Probleme elngeheh und 
will mir das nicht von der Justiz verbieten testen* Flrmich; 
sind diese Beziehungen nicht nur die Verwirklichung eines 
natürlichem Bedürfnisses, sie sind ein Teil meiner eigenem! 
Geschichte, zu der ich stehe." (Schult 79 in einem Schlu߬ 
wort vor Gericht ) 

Inzwischen scheinen sich seine Beziehurlip geändert zu 
haben; in EISZEIT (...) schreibt er, daß # sich die Freund-, 
Schaft der Jungen immer öfter erkaufen müsse;, daß er spürt 
wie er alt wird und für die Jungen immer Wlhlglrattraktfv 
ist. Aber das ändert nichts daran, daß er in keiner Bezie¬ 
hung Gewalt angewendet hat; es ändert auch nichts an den 
Erkenntnissen der Sexualwissenschaft Michael Bauermann 
vom Bundeskriminalamt (Wow!) kommt in einer Untersu¬ 
chung über Sexualdelikte und! ihre psychischen Auswirkun¬ 
gen für die Opfer zu dem Ergebnis, daß „gleichgeschlechtli¬ 
che Kontakte" ... im Vergleich zu anderen Flllen „harmlo¬ 
ser und fast ausschließlich ohne Gewaltanwendung durch 
den Beschuldigten" verlaufen. ,,Es fühlt sich deshalb auch 
keines der männlichen Opfer geschädigt/' Weiter heißt es: 
„Als ... Quelle sekundärer Schädigung kÖnneni sich die 
Strafverfolgungsbehörden und auch die Polizei leider nicht 
ausnehmen... bei näherer Analyse zeigt sich, daß sich ein 
Teil der Eltern schädigend,,, verhalten hatte, i,4 Die Ge-| 
spräche mit Ärzten und Beamten upm Jugehdamt, Polizei 
und Gericht... wurden als leicht bis pl|jppMdqpid em¬ 
pfunden." Es handelt sich also um ein „Verbrechen" ohne 
Opfer; erst durch Verhöre und diei'Mitehiheriö/die 1 
dem Schutz des Kindes dienen soll, vverden die ,,0pfer" sie- 
lisch geschädigt. Aus einer natürlichen Beziehung wird et¬ 
was Verbotenes für das man sich schämen soll, aus dem 
Freund wird ein Sittenstrolch und Verbrecher. Auch die 
beliebte Meinung, daß „verführte" Jugendliche automa¬ 
tisch schwul werden müßten, ist inzwischen widerlegt Del 
amerikanische Kinsey-Institut fand in einer Studie heratis, 
daß die sexuelle Orientierung vor dem 12; Lebensjaihr fest-| 
liegt. Inzwischen sind sich Genetiker, Psychiater, Soziälwis- 
senschaftler, Mediziner und Psychotherapeuten einig, daß 
die Veranlagung zur Homosexualität schon lange vor 
Pubertät feststeht. {Nach Spiegel Nr. 25/81) Die liberalen 
Hofländer haben daraus die Konsequenzen gezogen: der be¬ 
treffende Paragraf wurde im Mai 197t"fast einstWmig 
6 rechtsradikale Abgeordnete waren dagegen) abgeschafft*: 
Dort ist das „Schutzalter" auf 16 Jahre herabgesetzt, W\ 
zwischen wird eine weitere Senkung: auf 14 Jahre diskutfeft 

Natürlich kann es nicht darum gehen, Gesetze, die vor #" 
xueller Gewalt schützen sollen, abzusehaffen — Im Gegen- 
teil. Daß viele Gerichte Vergewaltigungen immer nodh als 
Kavaliersdelikte behandeln und daß vergewaltigte Flauen: 
im Prozeß oft brutal geöemütigt und als die wahren SdhuT 
digen hingestellt werden, ist genauso Ausdruck dir 
nen und unmenschlichen 
wie die in Gesetze gegossenen VocxifMtt' 
versen". Minderheiten, an denen Ji- 

dem ordentlichen Bürger steckt, 












Gesellschaft bekämpft, in der Vergewaltigungen in der Ehe 
legal und an der Tagesordnung sind, sollte genauso gegen 
die Kriminalisierung gewaltfreier, gegenseitiger und freiwilli¬ 
ger Beziehungen sein. Aber genau damit scheinen viele Lin¬ 
ke, auch viele bewegte Frauen Schwierigkeiten zu haben. 
Auch sie haben viele Vorurteile verinnerlicht; - vielleicht 


Auch sie haben viele Vorurteile verinnerlicht; -* vielleicht 
wäre es kein Fehler, sie einmal zu hinterfragen, sich zu öff¬ 
nen und neugierig zu werden für die Problematik. Informa¬ 
tionen kann Mensch über die DSAP {Deutsche Studien- 
und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie) Postfach 3236, 4150 
Krefeld bekommen. Wer 5 Mark oder einige Briefmarken 
übrig hat, sollte sie in den Brief legen, die DSAP ist arm. 

Wer Peter Schult schreiben will: Peter Schult, z.Zt. JVA 
Stadelheim, Stadelheimer Str. 12,8000 München 90 

Peter Laudenbach- 



FREIE LIEBE AB 14? 

Der 54-jährige Schriftsteller und Journalist Peter Schult 
ist der bayrischen Justiz seit langem ein Dom im Auge. Sein 
im Trikont Verlag erschienenes Buch „Besuche in Sackgas¬ 
sen, Aufzeichnungen eines homosexuellen Anarchisten" 
sollte bereits vor drei Jahren auf Antrag des „Bayrischen 
Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf den 
Index gesetzt werden. Als nächstes war es ein Artikel („Eis- 
zeit").in der Münchner Stadtzeitung „Blatt", deren Mitar¬ 
beiter Schult ist, um den sich die Gerichte fast ein Jahr lang 
bemühten. Ursache für diese fortgesetzte „Aufmerksam¬ 
keit": Peter Schult ist Päderast, hat also sexuelle Beziehun¬ 
gen zu Jugendlichen. Dies ist jedoch nach Strafgesetzbuch 
verboten. 

Interessant an all diesen Prozessen ist die zutage tretende 
Auffassung von Sexualität auf Seiten des Gerichts. Eine 
Ethik, die den gesamten sexualverneinenden Charakter die¬ 
ser Gesellschaft aufdeckt. 

„Es liegt auf der Hand, daß es dem Verfasser nicht um 
die ernsthafte Diskussion der homosexuellen Problematik in 
unserer Gesellschaft geht, sondern um die bewußte Zerset¬ 
zung abendländischer, sittlicher Wertvorstellungen!" Mit 
diesem Satz macht Staatsanwalt Hyronymus, obwohl mit 
anderer Absicht als ich hier in diesem Artikel, die wahre ge¬ 
sellschaftliche Dimension des Problemfalls Schult deutlich: 
Ein Mensch, der sich in unserer Gesellschaft nicht auf die 
einzig rechtlich zulässige Form von Sexualität einlassen 
kann, nämlich die - möglichst staatlich oder kirchlich abge¬ 
segnete - Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau, ein 
solcher Mensch muß damit rechnen, daß „Vater Staat" ihm 
noch rabiater ins Bett hineinregiert als dem Normalbürger. 
Weit gefehlt allerdings wer meint, mit der Kategorie „Zwei¬ 
erbeziehung zwischen Mann und Frau" sei alles andersarti¬ 
ge, ins Abseits gedrängte, gleichwertiger strafrechtlicher 
Verfolgung ausgesetzt. So ist es nicht! Am Schlimmsten ge¬ 
ahndet wird Sexualität zwischen Männern und Knaben 
(Strafmaß: bis zu 5 Jahre). Hätte Peter Schult jedoch statt 
mit Knaben mit jungen Mädchen zwischen 14 und 16 ge* 
schlafen, so wäre dies mit bis zu einem Jahr Knast bestraft 
worden - und zwar nur auf Antrag der Eltern. Bei Mädchen 
•über 16 gar nicht. 



Man merkt also gleich: Wer hier nach vernuhftmäßig zu¬ 
gänglichen Kriterien der Rechtsprechung fragt, geht leer 
aus! Nun gibt es da allerdings seit Jahren eine Diskussion 
um die Reform der Sexualstrafgesetze. So hat die FDP 
1980 die Forderung nach Abschaffung des Paragraphen 
,176 StGB in die Koalitionsverhandlungen eingebracht. Ge¬ 
schehen ist allerdings gar nichts. Auch Peter Schult tritt für 
die Abschaffung des § 176 ein und ist für die Herabsetzung 
des Mindestalters auf 14 Jahre. Bisher scheint allerdings der 
„sittliche Verfall des Abendlandes" noch nicht genügend 
weit fortgeschritten zu sein, als daß eine solche Forderung 
i. lrt breiteren Teilen der Bevölkerung Gehör finden würde. 
Auch vyenn sich in der Folge der 68-er Studentenbewegung 
die Umgangsformen gelockert haben, die allgemeine Sexual- 
unterdrückung ist die gleiche geblieben. Zwar ist es heute 
möglich, daß Unverheiratete Zusammenleben, Wohngemein¬ 
schaften sind in gewissem Grade anerkannt; dafür äst die 
Ausbeutung sexueller Bedürfnisse in der Werbung intensiver . 
geworden, die offene Vermarktung der Sexualität (Prostitu¬ 
tion, Peep show...) fortgeschritten. 

:; LI VING-GUERILLA- VERLAG : 

Peter Schult: Für eine sexuelle Revolution - 

wider die linken Spießer! und 

Olaf- Stüber»: Ich liebe Jungs! (44 S.i 2.-DM) 

; KIfffiBRpBFREIUNGSFR0NT (28 S.J 1.-DM) 

‘ liebchr über den "SF"beziehbar) 

"Geboren um erzogen zu werden. Es erscheint 
r:lest|dtyerständlich deti Kindern jegliches Eigen- 
zu verbieten und ihnen eine bestimmte 
;au*ztt*wij«g®ri. Zu entscheiden, 

!' Hstgft-Jife ;Zu- lieben haben und Wen nicht, Ihren 
! ' Befeeganbbfieieaüm einzuengen und ihre "Fehl- 
bestrafen. Oen Zeitpunkt zu be- 
; dem: sie Sexualität, haben, und was 

[i'Ä|#=l^ife";®eehen dürfen, ” - 

: : vGriäGSANSChMET: Glockwiesenstr.5; 7534 Birkenfeld 







Wohl gibt es heute eine offenere Diskussion über Homo¬ 
sexualität als noch vor 10 Jahren. Schwule und Lesben sind 
jedoch* immer noch Diskriminierungen ausgesetzt. Jeder 
zehnte Homosexuelle hat mindestens einmal wegen seiner 
Veranlagung seinen Arbeitsplatz verloren. 

Für die Diskussion um Pädophilie sieht es noch schlim¬ 
mer aus. Selbst in der Linken herrscht großes Mißbehagen. 
Und das auf den ersten Blick gar nicht zu Unrecht. Öder 
stimmt es etwa nicht, daß Jugendliche, die mit Erwachse¬ 
nen Sexualität haben, schärfsten Unterdrückungen ausge¬ 
setzt sind, vorausgesetzt, etwas wird bekannt? Eben weii in 
dieser Gesellschaft alle nicht-„normalen" Formen von Se¬ 
xualität mit dem Stempel „Perversion" belegt werden. 
Kann dadurch nicht doch wirklich „die seelische Entwick¬ 
lung und die bevorstehende gesellschaftliche Eingliederung" 
gestört werden? Und was ist überhaupt mit den „Motiven" 
der Päderasten? Da fast alle Päderasten auch sexuelle Bezie¬ 
hungen zu Erwachsenen haben, handelt es sich bei ihnen 
doch anscheinend nicht um Menschen, die zu freier Sexua¬ 
lität unfähig sind, die nur deshalb mit Kindern schlafen, 
weil sie nicht das Selbstvertrauen besitzen, an Erwachsene 
heranzu treten! Gibt es so etwas wie „sexuellen Mißbrauch" 
und wenn ja, wie sieht der aus? 

Das sind Fragen, die bei Linken hinter vorgehaltener 
Hand diskutiert werden’ und die mir auch aufgetaucht sind 
im Diskussionen über Peter Schults Buch. Man glaubt, sich 
obengenannte Bedenken nicht offen leisten zu können, 
ohne den fortschrittlichen Anspruch aufs Spiel zu setzen. 
Und mir selbst ging es vor der Lektüre des Buches genauso. 
Jetzt, nachher bin ich allerdings völlig beruhigt. „Es gibt 
kein richtiges Leben im Falschem"!Adorno), und es gibt 
keine freie Sexualität in der sexuaiver ne inendem Gesell¬ 
schaft! Selbstverständlichkeiten? Aber nicht nur diese 
Selbstverständlichkeiten hat Peter Schult mir bewußt ge¬ 
macht. In seinem Buch werden menschliche Begegnungen 
geschildert, freie und vorbehaltlose Beziehungen, die ihre 
Einmaligkeit behaupten gegen eine Gesellschaft, die unsere 
innersten Bedürfnisse nach Kommunikation und Liebe stän¬ 
dig abwehrt. 


-Jochen Nickel 




FBÜHLINGSERWACHEN - Beiträge zur'sozialen "und 
sexuellen Befreiung PF 2243? 2080 Pinneberg 


HEFT ls bringt einen Nachdruck von Klaus Mann ' 
"Homosexualität und Faschismus" aus dem Jahr WM, 
Klaus Mann greift die Affäre um den SA-Führer 
Rohm auf und kritisiert die Linkeydde mit Freude 
auf diesen "Mörder und Päderasten" einhaut. ' j 

"Den Nazis steht es wohl an : hpmQ®&xU'ei2e 

Cliquen zu bilden, teils die Homosexuellen einzu- 
sperren, zu kastrieren oder zu etsötiie^eh...Die.Linke 
aber sollte objektiver - sein. Indessen ist '.sie, 
gerade in dieser Frage, von spie&büifgeciich&tgr 
Voreingenommenheit. (...) Man erkundige sich doch, 
ob in proletarischen, linken Jugendbühden der¬ 
gleichen ausgeschlossen war: die Antwort, wird den. 
überraschen, der die-Homosexualität■.für e i :he Bigen- 
art des Fascismus hält. (.. .} 1 

man, habe stets homoerotischen und auf . 

dem hündischen n Prinzip basier* 

(...) worauf es ankommt ist nur 

der Bund geschlossen wurde, nicht erotische ■■ 
Kitt, durch den er Zusammenhalt" „ (12 s.; 1.^} 

HEFT 2 : "Zur Situation der Homosexuellen in'der 
Weimarer Republik und im deutschen Faschismus" vbh| 
Herwine Grün, 1981. Diese neue historische Arbeit 
gibt einen Überblick über die homosexuelle Kultur 
in der Weimarer Republik (z.B. Zeitschrift «Die 
Freundschaft", Agitprop-Theateretuok* "Wehrt 
Freunde , Filme -wie z.B. "Büchse der Pandb : r a * etc V) 
oder die Kampagnen zur Abschaffung des §175 *•; '.'V*, 

(organisiert von Magnus Hirschfeld?, unterstützt .vd n 
einzelnen SPD-lern und auch von .*§$£?'• '-j 

Erich Mühsam und John Henry Mac€a$r.. /W^nig&f ; 

Stützung kam von Seiten der KPD, da in 
SO 1932 ein Gesetz gegen Homosexualität verab¬ 
schiedet. In Deutschland wurde deshalb auch Wilhelm 
Reich aus der KPD ausgeschlossen.--;;. L'.’ 

Mit der Machtübernahme durch; dffe NSDAP begann " ■ 
auch für die Homosexuellen die '%'rfolgung. M Xii. 
Faschismus ist die Rolle der Familie genau de** '' ! 

finiert. (...) die Frau als Geburiftaschi he ; 

"dem Führer ein kind schenken" ^/Dai| : häci gtl>t 

es in dieser Ideologie nur den';h#terosexuellep 
Mann, der die Hierarchie Mann-^fc%i4KiM ’ 

(...) ümgebracht wurden schätz?|§D. Ml/ ' 
Homosexuelle, allein, im KZ 
(20 Seiten? l.-DM) : 













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Gegenseitige Hilfe — Freie Vereinbarung 
Selbstverwaltung 


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Für eine unabhängige Gefangenengewerkschaft 
'drinnen' und 'draußen' 


Auf dem Knastgruppentreffen in Dortmund (15.-17.01. 
82) wurde die Herausgabe einer nationalen Interniertenzei* 
tung 

Informationsdienst für den Interniertenbereich 
MAUER 

beschlossen. 

Der IDl/MAUER ist die versuchsweise Weiterentwick¬ 
lung des sog. ID! - Informationsdienst für Internierte— ei¬ 
nes internen, fotokopierten Zirkulars sowie der ehemalig 
auf NRW-Ebene erschienenen MIAUER — Zeitung der 
N R W-G ef a ng enense I bst h ilfen. 

Der IDI — begründet im April 81 als internes Diskus¬ 
sions- und Informationsforum-wuchs von ursprünglich 12 
auf 142 Trägergruppen und -personen an. 

Die MAUER — begründet 1979 von der Gefangenenini¬ 
tiative Dortmund - wurde zum zentralen Organ der Gefan¬ 
genenselbsthilfen NRW. 

Die starke Nachfrage und Beteiligung verschiedenster im 
Internierten bereich arbeitenden Gruppen und Personen wie 
von seiten der Internierten selber hat uns davon überzeugt, 
(Dl und MAUER in einer nationalen Zeitung aufgehen zu 
lassen. 

Die zentralen Anliegen der neuen Zeitung sind: 

1. Informations- und Agitationsblatt für die Internierten 
und die sog. 'interessierte Öffentlichkeit'. 

2. Ilnformatlons- und Disku^ionsplattform für die sog. Ge¬ 
fangenenbewegung drinnen und draußen. 

3. Verbindungsorgan zur sog. linken und/oder alternativen 
Bewegung (ein AKW-Gegner hat mehr mit Knastsystem 
zu tun als er denkt und umgekehrt) 

4. Praktischer Arbeits- und Koordinationsansatz für Inter¬ 
niertengruppen und Personen drinnen und draußen. 






ID l/MAUER erscheint erstmalig am 15. 03. 82 und fortan 
monatlich. 

Informationsmaterial, Artikel aller Art, Bildmaterial, 
Abos, Infos für Wiederverkauf er und Verkaufsstellen an: 
Redaktion ID l/MAUE R 
c/o Gefangeneninitiative Dortmund 
Brunnenstraße 8-10 
4600 Dortmund 1 
Tel.: 0231 —818989 
(Mo.—Pr. 10.00-22.00 Uhr) 




Konto: Kto.-Nr. 230111-4i® (SLZ 44010046) 
Postscheckamt Dortmund 
Bärbel Lorey 















24 


' DER WIDERSTAND DER SAMEN 
GEHT WEITER 

(Eine Gegendarstellung! zur taz-Berichterstattung 
der letzten Wochen) 


Die letzten Monate sind für die Samen eine Zeit der Ent¬ 
täuschungen und Demütigungen gewesen. Die politischen 
Behörden sind .uns mit Ignoranz, Mißtrauen und Verach¬ 
tung begegnet. Die letzte skandalöse Entscheidung des 
höchsten Gerichts hat uns faktisch rechtlos gemacht. Diese 
oberflächliche Entscheidung ist von falschen Annahmen, 
Widersprüchen, Mlißbrauch von Wissenschaft und vollständig 
falschen Informationen geprägt. Mit diesem Urteil ist es der 
norwegischen Regierung völlig frei gestellt, mit der Zerstö¬ 
rung der samischen Kultur fortzufahren. 

Unter solchen Verhältnissen werden einige verzweifelt: 
Während des Sprengungsversuches einer Brücke in dem 
Anlagegebiet (zum Ausbau des Alta Kauto Kdno-Flusses) 
hat ein Same einen Arm verloren und wird vielleicht blind 
werden. Zusammen mit einem Helfer wird er wahrschein¬ 
lich Jahre hinter Gittern verbringen. 

Die samischen Organisationen bauen nicht auf Sabotage. 
Wir klagen die norwegische Regierung an für das, was ge¬ 
schehen ist. In dieser schwierigen Situation planen wir zwei 
Dinge. Wir haben die Alta-Sache an den Gerichtshof für 
Menschenrechte in Straßburg berufen, wo die Menschen¬ 
rechtskommission die Sache Anfang Juli bearbeiten wird. 

Wir wollen unsere Sache über Norwegen hinaus, speziell 
in Europa bekannt machen. Wir haben verschiedene gewalt¬ 
lose Aktionen geplant. Wenn eure Organisation auf irgend¬ 
eine Weise uns helfen kann, bitte kontaktet uns. Wir haben 
auch schwere finanzielle Probleme, — für unsere Anwälte 
allein beläuft sich die Rechnung auf ca. 30.000 DM. 

Wir hoffen auf eine Zukunft für alle eingeborenen 
Völker..... 

Oslo , den 27. März 
für die Samenbewegung: 

- Ante Gaup - 

Adresse: 

Die Samenbewegungi — c/o Miljöüoftet — Grensen 3 — 

Oslo 1 — Morway 




CHARTA 79 - 2. Folge 48 &,.m. 16 Abb., 4.- DM 

Die Zeitschrift CHARTA 79 entstand während! der Ausein¬ 
andersetzungen der samischen Urbevölkerung mit der nor¬ 
wegischen Regierung um den geplanten Bau des ALTA-Stau- 
damms. 

^ eut f c ^ e übertragene Artikebammlung schildert 
die Frühjahrsereignisse 81: Den erneuten Hungerstreik bis 
zur Aussetzung des Baubeginns, sowie die Besetzung des 
Staatsministeriums durch 14 samische Frauen, die teilweise 
zum ersten Mal in ihrem Leben aus dem Samenland ausge* 
reist waren. Den Schwerpunkt legt die Broschüre jedoch auf 
die Darstellung der samischen Kultur, als der einer der letzten 
"europäischen" Urbevölkerungen. £$ wird deutlich, daß 
die staatlichen Eingriffe beispielsweise die traditionell auto- 
nome Stellung des samischen Frau dahinphend verschlech¬ 
terten, daß sie in die bekannte patriarchalische Familienrolle 
gedrängt wurde. Interessant ist auch die Politik der sozial¬ 
demokratischen Regierungspartei, die gerade mit Ihrem 
technokratischen Gleichheitsgrundsatz für alle norwegischen 
Bürger, und der ausschließlichen Blickrichtung auf sozioöko- 
nomische Faktoren, die Rechte der Samen {z,S. Kollektiv¬ 
eigentum) unterdrückt, und sie innerhalb der Großgesell¬ 
schaft erst zu einer "Minderheit" macht 

TROTZDEM « VE R LAG \ 
7410 Reutlingen, Obere Weibermarktstraße 3 


Murray Boohchin 
Natur und Bewußtsein 

Bookchins Plädoyer für ein 
neues Bewußtsein der Men¬ 
schen von sich, von anderen 
und von der Natur. 

80 S. Preis; 5,80 DM 

Murray Boohchin 
Hör zu Marxist 

Bookchins klassicher Bei¬ 
trag zur Marxismuskritik. 
In Amerika prägte er über 
lange Zeit die Anarchis¬ 
mus-Marxismus Diskussion. 
64$. Preis: 2,80 DM 


Herb /Peters / Thesen 
Der neue 

Rechtsextremismus 

Eine umfassende Schilde¬ 
rung der rechtsradikalen 
Gruppen in der BRD. Ein 
Handbuch, das einen kon¬ 
kreten Gebrauchswert für 
eine antifaschistische Ar¬ 
beit besitzt, aber auch als 
Einstieg in die Thematik 
sehr gut geeignet ist. 

196 S. mit Bildteil 
Preis: 16 DM 


William Archer 
Frandso Ferrer 

F. Ferrer gründete 1901 in 
Barcelona die 'Moderne 
Schule', Sie war der Ver¬ 
such, libertäre Erziehungs¬ 
vorstellungen in die Tat 
uimzusetzen. Wir geben in 
diesem Buch eine Lebens¬ 
beschreibung Ferrers und 
stellen seine pädagogischen 
Ansichten vor. 
ca. 140 S. Preis: 12,80 DM 


winddruck vertag. 


Peter Kwpotkin 
Der Anarchismus 

Zwei Aufsätze über den 
■kommunistischen Anarchis¬ 
mus, zu dessen Begründern 
Kropotkin zählt sowie eine 
ausführliche Einführung in 
Kropotkins Leben und 
Werk. 

96 S. Preis: 5,80 DM 


Joel Spring 

Erziehung als Befreiung 

Eih Abriß der bedeudend- 
sten Erziehungsideen des 
Anarchismus, Marxismus 
und der linken Freudiäner. 
Ivan tlHch's Kommentar zu 
diesem Buch: „ Spring's 
Buch ist einzigartig!" 

ca. 160 S. Preis; 14,80 DM 


Horst Stowasser 
Die Machnotschina 

Der Kampf der Anarchisten 
für eine freie Gesellschaft 
in der Ukraine 1917-2^ 
120 S. Preis; 7 I 


Einzelbestellungen bitte an; 
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senerstr, 41,5901 Wilnsdorf 
Für Buchhandlungen: \ 

\pmmlebr Dau- 
Mlar . 














25 


FÜR EINE 

ANARCHISTISCHE 

FÖDERATION 


DISKUSSIONSANREGUNG VON 1926 („DER BAKUNIST") 

UND 1982 

ALEXANDER CELSO 





Der SCHWARZE FADEN hat als Vierteljahresschrrft mit dem Ziel begonnen, die 
Geschichte der Kämpfe für die FREIHEIT zu analysieren und für die Gegenwart und 
Zukunft Ansatzpunkte zur Einschätzung und zum Handeln beizusteuern. Dies 
schließt auch eine Organisierung der vereinzelten Anarchisten bewußt mit ein. Trotz 
inzwischen zwei Jahren, in denen der SF regelmäßig erschienen ist, haben wir in die¬ 
ser Richtung nichts unternommen oder angeregt. Unter den Gründen für diese Zu¬ 
rückhaltung steht an erster Stelle die Skepsis, die sich aus den mißlungenen Versu¬ 
chen der letzten Jahre (IFAU-Mißverständnisse * FAU-HH Abspaltung, Kronstadt- 
Kongreß...) herleitet. Insbesondere „Kronstadt" ließ den Eindruck aufkommen, daß 
es so viele unterschiedliche Auffassungen vom „Anarchist-sein" gibt, daß eine ge¬ 
meinsame Organisation völlig undenkbar ist. Wenn wir uns jetzt an die Diskussion 
über Organisierung heranwagen, dann meinen wir damit Genoss/innen, für die Anar¬ 
chismus mehr ist als „Zoff", „Chaos" oder „ne schicke provokative Mode ä la PUNK". 
Nicht, daß wir gegen solche Lebenseinstetlungen etwas hatten, aber wenm's zum Kult 
wird und sonst keine Folgen hat, ist es doch nichts anderes als das ,*Mü$li-E5sen" f mit 
denen man die Nur-Alternativen karikiert. Wer es also satt hat, von einer „linken" 
Modebewegung zur nächsten zu hangeln, sollte den SCHWARZEN FADEN als Dis¬ 
kussionsforum für eine Gesamtperspektive benutzen. 


Da gründen abgewirtschaftete „LINKS"-Sozialisten a la 
lansen neue linke Organisationen (von Bonn aus!) und mä¬ 
hen sich daran, erneut Leute zu sammeln, die eigentlich 
chon über diese Stufe von Politik hinaus sind, gäbe es et- 
t^as anderes, das sich nicht - wie Anarchisten -alsunfaß- 
iarer Haufen darstellt. „Wir" reden davon, daß die K-Grup- 
»en abgewirtschaftet haben, daß die SPD/DKP-Positionen 
ls „linke" nicht mehr diskutierenswert sind und daß sich 
nehr und mehr Menschen für eine anarchistische Herange- 
lensweise an Politik, Lebenseinstellung etc. interessieren,— 
ber das genügt uns scheinbar. Ganz zufrieden, daß der Zeit¬ 
eist uns in den Medien wiederspiegelt und scheinbar beach- 
et, lehnen wir uns zurück und mischen uns kaum noch ein. 
i/ir haben großspurig die GRÜNEN und ALTERNATIVEN 
ritisiert, weil wir sie im Verdacht hatten, daß sie Basisbe- 
/egungen und Bürgerinitiativen wieder für das parlamentari- 
;he Prozentespiel vereinnahmen, statt das Bewußtsein zu 
Ordern, daß alle für sich selbst handeln und kämpfen müs- 
?n. Nun, - unsere Kritik trifft zweifellos noch immer zu, 
ber was setzen wir schon Besseres entgegen? Bzw. drasti- 
:her: solange wir unfähig sind uns selbst zu organisieren, 


DER BAKUNIST — 

Zeitschrift für wissenschaftlichen und 
, praktischen Anarchismus — 8 Nummern; 
vom Januar 1926 bis September 1926; 
Erscheinungsort: Leipzig - Redaktion: 
j G, Wartenberg. Preis;; 0,10 Pf, 










sollten wir die GRÜNEN wählen, weif sie die Teilschritt- 
eben wenigstens machen, die sie versprechen; während wir 
gerade nicht machen, was wir kritisieren! Darüber täuschen 
auch nicht sporadische Aktionen, Demos oder die Mitarbeit 
h Komitees, BTs oder Alternativprojekten hinweg, Es fehlt 
an der kontinuierlichen gemeinsamen Perspektive dieser 
vielfältigen Bereiche. 

Nun hat dieser Artikel mit dem „BAKUNIST" seinen 
Co-Autor aus dem Jahr 1926. Wir könnten auch andere 
„Initiatoren" herausgräfen; dies kann ja in weiteren SF« 
Ausgaben nachgeholt werden. Am BAKU NIST reizt uns sei¬ 
ne Kurzlebigkeit: ganze 9 Monate! Sein Anspruch: theorie¬ 
bildend und praktisch zu sein; seine Konsequenz: die 
Redaktion dicht zu machen, als er keine Resonanz bekam 
und letztlich seine Unbekanntheit, die er nicht verdient. 
(Die Einsicht in die Originale verdanken wir demzufolge 
auch einem der aufgeschlossensten „Äit"-Genos$en: Otto 


nistIsche Naturgesetze nicht zu 'menschlichem Fatalismus 
führen müssen: „Die Naturgesetze befehlen ganz und; gar 
nicht, was geschehen soll, sie sprechen nur von dem, was ge¬ 
schah und was geschieht. Aber da wir wissen, daß die gegen¬ 
seitige Abhängigkeit der Erscheinungen immer fortdauert, 
können wir bis zu einem gewissen Grade die Zukunft vor¬ 
hersehen. Die Zukunft vorhersehen, um sie zu beeinflussen 
- das ist das Ziel der Wissenschaft. (...) Ein bezeichnender 
Zug des wissenschaftlichen Anarchismus wie der ganzen 
modernen Wissenschaft ist die Auffassung vom Entwick¬ 
lungsprozeß. ln der Natur gibt es keinen Stillstand. (...) Und 
darum ist beim wissenschaftlichin Anarchismus das Wich¬ 
tigste nicht dieser oder jener Satz, diese oder Jene Förde¬ 
rung, sondern die Methode." ; 

Zu dieser Methode gehört zunächst einmal das Aufarbei¬ 
ten von geschichtlichen Erfahrungen und die Diskussion 
und partielle Erprobung neuer Konzepte. Der BAKUNIST 



Reimers; vielleicht hat er den BAKUNIST seinerzeit gerade 
deshalb beachtet, weil er selbst keiner eingefahrenen anar¬ 
chistischen Richtung angehörte, sondern der antiautoritären 
Union ist ischen AAUE.) 

Der BAKUN1ST sieht seine Daseinsberechtigung - trotz 
der Behauptungsprobleme anderer linker Zeitschriften — 
auch in deren Unehrlichkeit: „Es ist zwar sehr bequem, die 
Schuld an allen Schwierigkeiten der Reaktion und der reak¬ 
tionären Zeit zuzuschreiben, aber richtig ist es nicht. (...) 

Der marxistische Teil schwankt immer wieder zwischen der 
„Diktatur" und der antiautoritären Idee, (...) zwischen Fö¬ 
deralismus und Zentralismus... 

„Der freie Arbeiter" leidet grundlegend daran, daß er ei¬ 
nerseits Propagandablatt (...) der Föderation kommunisti¬ 
scher Anarchisten Deutschlands (FKAD), andererseits aber 
Organ für die theoretische taktische Fortbildung, Klärung 
und Diskussion innerhalb des Anarchismus sein soll." 

Der BAKUNIST beginnt seine Theoriearbeit mit einer 
Abhandlung über „Modernem Anarchismus", dem er eine 
wissenschaftliche Grundlage zu geben versucht. Dabei geht 
er von den Naturgesetzen aus, betont jedoch, daß determi- gg 


läßt Kropotkin sprechen: „ID ie neuen Ideen, die eine neue 
Epoche in der Geschichte der Zivilisation bedeuten, müssen 
vorher bis zur Revolution entworfen werden, damit sie in 
den Massen vorbereitet, von Praktikern kritisiert und in ge¬ 
wissem Grade durch Erfahrung erprobt werden können.” 

Konkret und interessant wird der BAKUNIST zum Bei- 
spiel, wenn er den Weg vom italienischem Anarchosyndika¬ 
lismus mit Betriebsbesetzungen 1919-1921 zum Faschis¬ 
mus alb 1922 beschreibt: „Die Frage Ist nur, warum die Re¬ 
volution so stark wurde und solche Formen annahm, wäh¬ 
rend anderswo der Faschismus «bekannt blieb oder nicht 
zu Macht gelangte. Wir erklären diese Erscheinung mit der 
Stärke, Zielbewußtheit und Initinksicherheh: der italieni¬ 
schen Arbeiter. Sie griffen zu den Waffen der direkten Ak¬ 
tion, der Betriebsbesetzung, des Aufstandes und hielten 
zum großen Teil garnichts von irgendwelchen Unterhand¬ 
lungen in Parlamenten oder Regierungen. Die Kapitalisten 
mußten mit eigenen Augen sehen, wie überflüssig sie wa¬ 
ren, wie die Arbeiter die Produktion selbst: in die Hand 
nahmen (...) Es ist bekannt, welches Ende die Besetzung der 
Metallfabriken nahm. Die sozialistische Partei, In der damals 










PARLAMENTARISCHES 


noch die Kommunisten waren, und der reformistische Ge¬ 
werkschaftsbund spielten genau dieselbe Politik, wie bei 
uns. Sie retteten die dem Rande des Abgrunds nahestehen¬ 
den Kapitalisten, indem sie von „Kontrolle der Fabriken" 
sprachen, als die Arbeiter schon die Leitung hatten, indem 
sie von Verhandlungen faselten, als die Regierenden bereits 
an dem bekannten Mauseloch saßen, kurz sie spalteten die 
revolutionäre Front, gaben der Regierung Zeit, Truppen zu 
sammeln und der große revolutionäre Kampf ging verloren. 
Nun war es für Mussolini ein leichtes, die erschrockenen 
Kleinbürger und die wütenden Kapitalisten in seiner faschi¬ 
stischen Partei zu vereinigen und sie zu Rache und Ver¬ 
zweiflungstaten aufzustacheln. (...) Es herrschte noch im¬ 
mer ein Gleichgewichtszustand zwischen proletarischen und 
bürgerlichen Kräften... Die Regierenden wandeten darum 
das Mittel wirtschaftlicher Sabotage an: sie ließen die Wäh¬ 
rung verfallen. Dadurch übten sie schon einen großen Druck 
auf das Proletariat aus. Während aber dieses Mittel bei den 
sprichwörtlich geduldigen deutschen Arbeitern im allgemei¬ 
nen genügte, um die soziale Revolution zu verhindern, be¬ 
stand in Italien jeden Augenblick die Möglichkeit einer neu¬ 
en Betriebsbesetzung, eines neuen bewaffneten Aufstands, 
Darum leuchtete es der italienischen Bourgeoisie ein, dal 
sie eine bewaffnete Gegenrevolution mit einem Wirtschaft* 
lieh positiven, scheinbar arbeiterfreundlichen Programm 
machen müsse. Das ist die Grundlage des Faschismus/' 


Die einführenden provokanten Bemerkungen zu den 
GRÜNEIN finden sich auch im BAKUNIST wieder; es geht 
um den Volksentscheid zur Fürstenentelgnungt, den viele 
Anarchisten prinzipientreu ab lehnten, weil Anarchisten 
Enteignung nur über eine soziale Revolution anstreben soll¬ 
ten. Wie Prinzipientreue in Deutschland in Dummheit um¬ 
schlägt, versucht der BAKUNIST klarzulegen: „Vor allem, 
wird mit der Behauptung operiert, der Volksentscheid kön¬ 
ne gar keine Enteignung herbeiführen, (...) die Enteignung 
laufe dem Begriff des Privateigentums zuwider, auf dem die 
ganze bürgerliche Gesellschaftsordnung beruhe... das Ist ein 
Irrtum. Der Begriff des Privateigentums (...) wird durch die 
Enteignung nicht angegriffen. (...) Denn die Vermögen der 
Fürsten wurden durch unrechtmäßige, gewaltsame Aneig¬ 
nung Kraft der Souveränität (die jetzt angeblich aufs Volk 
übergegangen ist) in Zeiten des Absolutismus erworben. 
Man sieht, gerade die Ansprüche der Fürsten widersprechen 
den bürgerlichen Eigentums- und Reclhtsbegriffen." 

Aber nicht nur die Argumentation der .„Puristen" ist 
schief, auch ihr Realitätsverständhis: 

„Zunächst ist ja der Volksentscheid das einzig Mögliche, 
well Aktionskraft des deutschen Proletariats gelahmt 
M. Die Aussicht auf eine revolutionäre Erhebung ist jetzt 
gleich null. Da nützt alles Verweisen auf den Weg der rf dh 
Mkteb';Äktib-rt Pf . Weht*/ die. historischen Gesetze nicht 

kennt, darf sich picht wundern* wenn sie über ihn mit seiner 
„prinzMehfesl^ri''^ wirklichkeitsfremden Stellung hinweg* 
schreiten/' , ; 

Prinzipientreue kann also historisch falsch sein, zumin¬ 
dest solange man selbst mit seiner Aktionsfähigkeit nichts 
gegenüberzustellen hat; und wir machen uns „unmögllchf, 
wenn wir uns ohne richtige Alternativen gegen aktuell#Be- 













SELBSTVERWALTUNG 

r DIE BASIS EINER BEFREITEM GESELLSCHAFT 



200 S., 14-DM 


Die Selbstverwalfungsperspektive ist heute wohl der zentra¬ 
le Begriff in der Diskussion der 'Alternativen'. 

Dennoch haftet ihr der Beigeschmack des lediglich reforme- 
rischen Bezugs auf den Kapitalismus an. Denn auch in den Rei¬ 
hen des Betriebs- und Gewerkschaftsmanagements ist man auf 
sie aufmerksam geworden. 

Auf welchen Rahmen muß sich das Konzept der Selbstver¬ 
waltung beziehen, um wirklich die bestehenden sozialen und 
ökonomischen Strukturen zu sprengen, und nicht statt dessen 
etwa dazu betzutragen, den Kapitalismus vielfältiger, bunter 
und produktionsintensiver 2 ju machen. 

Mit diesen grundsätzlichen Fragen an die Selbstverwaltung 
befassen sich die Autoren des vorliegenden Bandes — 

BOOKCHIN, COLOMBO, GUIDUCCI, LAINIZA, 
PORRELLO, PRANDSTALLER, SCHECTER. 

Ihre Beiträge, die auf dem Kongreß über Selbstverwaltung 
in Venedig 1979 vorgetragen wurden, stecken einen ökonomi¬ 
schen, gesellschaftlichen, technologischen und psychologischen 
Bezugsrahmen für ein wirklich revolutionäres Selbstverwal¬ 
tungskonzept ab. 

SELBSTVERWALTUNG - nicht auf eine Technik der Or¬ 
ganisation beschränkt, sondern als umfassender, utopisch-revo¬ 
lutionärer Gasellschaftsentwurf. 


[ERICH MÜHSAM — Schriftsteller der Revolution 9.,— DM 
von Wolfgang Haug 

Das Buch untergliedert sich im wesentlichen in zwei Teile. Im 
ersten wird die Persönlichkeit des Anarchisten Mühsam 
nachgezeichnet, wobei die Hauptaspekte auf dessen litera¬ 
rischer und politischer Betätigung liegen. Mühsam beginnt zu 
schreiben als die Sozialistengesetze 1 ö Jahre aufgehoben sind, 
und die literarische Protestbewegung des Naturalismus ge¬ 
meinsam mit der SPD-Opposition (den "Jungen") ihren 
Schwung verloren hatte. Nach ersten Schwierigkeiten mit der 
Berliner Polizei begibt sich Mühsam auf Reisen. 

Der Aufenthalt in der vegetarischen Altemativkommune 
Monte Verita in Ascona wird seine wichtigste Station bevor 
er sich in der Boheme München Schwabings niederläßt. Mit 
dem Ende des 1. Weltkriegs beginnt Mübsams politisch 
einflußreichste Zeit. In diesem Sinn ist das Buch auch auf 
den Schwerpunkt Münchner Räterepublik angelegt. Mühsam 
übernimmt zwar keine leitenden Funktionen im Rat der 
Volksbeauftragten, wird aber zusammen mit Gustav Lan¬ 
dauer und Ernst Toller der wichtigste Propagandist der ersten 
Phase. 

An diesen historischen Teil schließt der Verfasser seine 
Betrachtung des literarischen Werks Mühsamts an. Er inter¬ 
pretiert das 1920 im Gefängnis Ansbach geschriebene Revo¬ 
lutionsdrama JUDAS vor dem Hintergrund des Januarstreiks 
1917 und der Räterepublik 1919. innerhalb der Interpreta¬ 
tion macht er die Unterschiede deutlich, die zwischen An¬ 
archisten und Kommunisten zur Zeit der Räterepublik 
herrschten. 


TROTZDEM-VERLAG 
7410 Reutlingen, Obere Weibermarktstraße 3 
Postscheck Stuttgart, Wolf gang Haug - T.V, 
Kto.-Nr . 138 74- 706 






wegungen stellen, weil sie uns zu bürgerlich arbeiten (z.B. 
Friedensbewegung). Richtige Alternativen stellen sich nicht 
von allein, und obwohl der Anarchismus es seinen Anhän¬ 
gern ermöglicht, allein nach den eigenen Vorstellungen zu 
leben und zu handeln, so entsteht eine einflußreiche Stel¬ 
lung des Anarchismus doch erst durchdie Zusammenarbeit 
und gegenseitige Unterstützung Vieler. Die Frage nach der 
Organisierung wird demzufolge zwangsläufig immer wieder 
konkret. Daß sie ungleichzeitig auftritt, d.h. mal der einen, 
mal der anderen Gruppe in der BRD auf den Nägeln bränn- 
te, daß ihre Verwirklichung für die einen nicht schnell ge¬ 
nug, für die anderen zu wenig diskutiert, bzw. mit falschen 
Inhalten daherkam, brachte bisher ein Ergebnis, das nur von 
Unfähigkeit zeugt. Die größte Chance hatte und hat die 
IFAU. Die anarchosyndikalistisehen Genossen sind diejeni-' 
gen, d.e heute überregional am ehesten als Organisation an¬ 
gesprochen werden; wo viele GenossenAinnen, die eigent¬ 
lich eine anarchistische Föderation suchten, „durchgingen" 
ohne aufgefangen werden zu können. Dies soll und darf 
kein Vorwurf an die IFAU sein, weil sie ganz einfach über¬ 
fordert war, dieses Bedürfnis aufzufangen. Aber wir würden 
uns wünschen, wenn sie in Zukunft einen oder zwei Genos¬ 
sen dazu bereithielte, diejenigen zusammenzubringen, die 
zwar nichts mit Betriebsarbeit zu tun haben, aber trotzdem 
an kontinuierlicher überregionaler Zusammenarbeit inte¬ 
ressiert sind. „Wir" können schlecht die SELBSTVERWAL¬ 
TUNG und die SELBSTORGANISATION auf alten gesell¬ 
schaftlichen Ebenen fordern, wenn wir unfähig sind, sie für 
uns selbst zu verwirklichen. 



yfr unsere omrmww™ 

Mt sie auch zu erheben# 
'den sie Bttd wir OOSß^Z 


28 











29 


1926 hörte sich dasselbe so an: „Die Frage der Ausbeu¬ 
tung kann erst gelöst werden, wenn die Frage der Befähi¬ 
gung zur Selbstorganisation gelöst ist, (...) Wenn eine Men¬ 
schengruppe nicht fähig ist, sich selbst zu organisieren, wird 
sie unbedingt von einer anderen organisiert werden, die zu 
dieser notwendigen Aufgabe fähig ist. (...) Wenn man ir¬ 
gendwelche Organisationen bestätigen will, muß man ande¬ 
re bereit haben, die sie ersetzen können." 

Solche Sätze hören sich vermutlich für manche unanar¬ 
chistisch an; sie haben eine Auffassung vom Anarchismus 
als einer antipolitischen Bewegung akzeptiert, vergessen 
aber die Frage zu stellen, wer eigentlich definiert, was „Po¬ 
litik" ist. Verstehen wir aber unter „Politik” nicht nur, was 
mit Regierungen zu tun hat, sondern auch das, was Men¬ 
schen auf verschiedenste Weise gegen Herrschaft unterneh¬ 
men, so können wir kaum „Politik" ablehnen, sondern le¬ 
diglich eine „antipolitische Politik" fordern. Es geht also 
absolut nicht nur um Abstinenz, um das bloße „Sich-ver- 
weigern", wie es das heute am weitesten verbreitete Ver¬ 
ständnis von Anarchismus suggeriert. Mr. Reagan macht 
uns dies deutlicher als fast jeder vor ihm: Haben „wir” 
nicht gegrinst, als wir erfuhren, daß er von noch nicht mail 
30% der Amerikaner gewählt wurde? Und trägt er nicht 
trotzdem ganz wesentlich zu unserem „no-futüre”~GefühI 
bei? Kann'ein Mittelamerikaner über seine „Wahl” grinsen? 

Wir müssen uns also auf das „politische Spiel" einlassen, 
ob wir uns dabei wohl fühlen oder nicht Über das WIE 
dachten die Anarchisten vom BAKUNIST: „Die föderali¬ 
stische Organisationsform, die ebensoweit vom Zentralis¬ 
mus wie von der örganisationslosigkeit entfernt ist, wurde 
von Bakunin entwickelt. Auch für den Anarchismus be¬ 
jahte er die Notwendigkeit einer festen, schlagkräftigem, 
föderalistischen Organisation. Er wußte wohl, daß für eine 
erfolgreiche Revolution in erster Linie der revolutionäre 
Instinkt des „Volkes” notwendig ist, aber er war weit davon 
entfernt, diesen Instinkt sich selbst zu überlassen und den 
Anarchisten nur die Rolle von Revolutionssoldaten, von 
einfachen Mitläufern oder Vorwärtstreibern zuzuweisen/' 

Liest man solche Sätze, sollte man nicht glauben, daß sie 
vor fast 60 Jahren geschrieben sind, denn mehr als „Mitläu¬ 
fer" oder „Vorwärtstreiber” sind Anarchisten in den letzten 
Jahren kaum gewesen. 

Und man sollte andererseits nicht glauben, daß es Anar¬ 
chisten en masse gibt, die - ganz gegen „den Instinkt des 
Volkes" — am liebsten irm revolutionären Pathos schwel¬ 
gen; oder ist es nur witzig gemeinte Koketterie, wenn eine 
Hamburger Genossen Zeitschrift in alter ML-Manier meint, 
nicht ohne leere Spruchhülsen ä la: „Nieder mit... Tod den... 
Schlagt dlie..." auskommen zu können? 

„Diese kleine Auslese zeigt das geistige Niveau des heuti¬ 
gen Anarchismus. Sie beweist, daß vom Anarchismus Baku- 
nins, Kropotkins, Rockers nichts mehr lebt als die Phrase, 


das Dogma, aber nicht mehr der Geist und die Weltanschau¬ 
ung...", so konstatiert es der BAKUNIST, und er begründet 
es auch: „Wie gelangten die großen Vorkämpfer des Anar¬ 
chismus zu ihren Resultaten? Nun, sie untersuchten die 
Wirklichkeit, die reale gesellschaftliche Entwicklung, analy¬ 
sierten deren Faktoren, suchten ihre Gesetze festzustellen, 
um die Umgestaltung der Gesellschaft mit Aussicht auf Er¬ 
folg propagieren zu können. (...) Die Denkmethode der 
heutigen Anarchisten ist eine ganz andere. Sie betrachten 
die Wirklichkeit vom Standpunkt eines sogenannten „anar¬ 
chistischen Ideals" aus, wobei sie natürlich finden, daß sie 
„schlecht" ist. Eine genaue Untersuchung dieser gesell¬ 
schaftlichen Wirklichkeit scheint ihnen vollkommen über¬ 
flüssig — eben weil sie „schlecht” und „fluchwürdig" ist. 
Übrigens wird diese Gesellschaftsordnung ja doch bald 
durch die „soziale Revolution" untergeben - wozu sich 
also mit ihr beschäftigen?" 

Der BAKUNIST stellte 1926 sein Erscheinen trotzig-re¬ 
signiert wieder ein, weil er weder .ibei dien Anarchosyndika¬ 
listen (FAUD), noch bei den kommunistischen Anarchi¬ 
sten (FKAD) auf große Resonanz gestoßen war: „Nun, 
wenn die Bewegung keinen wissen Schaft liehen Anarchismus 
braucht, so mag sie versuchen, mit einem idealistisch-phra¬ 
senhaften Anarchismus die Gesellschaft umzuformen. Wir 
glauben jedenfalls, daß sie dann immer eine unbedeutende 
„Ideenorgantsation" bleiben und abseits der großen... Bewe¬ 
gungen stehen wird.” 







Der SCHWARZE FADEN will die Organisationsdiskussion in den nächsten Nummern fortführen und erwartet Beiträge, die 
sich speziell damit und mit inhaltlichen Vorstellungen dusMsäd'ifSiätZen. Gefragt sind neben schon existierenden Gruppen 
auch Einzelpersonen. Wir wünschen auch BeiträgemMm^^MAÜ t äer^ GWR-Föderation, der FAU-HH und ausländi¬ 
scher Genossen. Denjenigen Lesern und Leserinnen, denen diese Diskussion uninteressant erscheint, versprechen wir, daß sie 
keinesfalls den ganzen SF in Anspruch nehmen wird. Am liebsten wäre uns, wir könnten für diesen Zweck pro Nummer vier 
Seiten anhängen. Dazu brauchten wir allerdings für jede Ausgabe 400,- DM Spenden; weil wir den Preis von 3,- DM solange 
wie möglich halten wollen, nicht zuletzt, um Interessierten, außer der Hemmschwelle eine anarchistische Zeitschrift kaufen zu 
müssen, nicht auch noch finanzielle Probleme zu bereiten. Spendenlisten sind fiir anarchistische Zeitschriften nichts Ungewöhn¬ 
liches und so hoffen wir, keinen Ärger zu erregen, wenn wir Uns ab sofort einreihen. Damit keine Probleme mit den ABOgel- 
den entstehen, vermerkt bitte als Stichwort ,Föderationsdiskussion’’. Postscheck Stuttgart: F, Kamann - Kto-Nr. 57463-703 




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UNSER JUBEL DARÜBER, DAß SICH DER SCHWARZE FADEN 
SELBST TRÄGT, WAR - WIE KÖNNTE ES ANDERS SEIN - 
ETWAS VERFRÜHT. DIE DRUCKKOSTEN HABEN SICH UM 20% 
ERHÖHT, WEIL UNS WINDDRUCK INZWISCHEN DIE GESAMTE 
ARBEITSZEIT BERECHNEN MUß. D.H. AUCH Z.B. DIE 
VORARBEITEN ZUM EIGENTLICHEN DRUCKEN. DIE GENAUE 
ABRECHNUNG•KÖNNT IHR UNTEN NACHVOLLZIEHENI WIR 
DÜRFEN UNS ALSO KEINE ERWEITERUNG AUF 48 SEITEN 
MEHR LEISTEN, WOLLEN ABER GLEICHZEITIG EINEN 
"ORGANISATIONSDISKUSSIONSTEIL" ANHÄNGENi 
| NATÜRLICH GIBT ES GLEICH VERSCHIEDENE VOR¬ 
STELLUNGEN FÜR EINE WEITERARBEIT: DIE NAHELIEGEN¬ 
STE UND EINFACHSTE WÄRE, DEN EINZELPREIS AUF 
4.-DM ZU ERHÖHEN? DAS ABO AUF 15.-DM. MÖG¬ 
LICHERWEISE WIRD DIES NÖTIG SEIN... ZUVOR GAB 
ES DIE ÜBERLEGUNG, DAß WIR BEI EINER AUFLAGE VON 
1500 WIEDER KOSTENDECKEND HERAUSKOMMEN UND EINE 
PREISERHÖHUNG ERST MAL UMGANGEN WÄRE, - BEI 44 
SEITEN UMFANG. MIT HILFE VON SPENDEN UND ANZEIGEN 
könnten dann die zusätzlichen seiten beglichen 
WERDEN. MIT DEN FÖRDERABOS (20.- für 4 Nummern), 
die DANKENSWERTERWEISE LANGSAM BEI UNS EINTRUDELN, 
WOLLEN WIR JA DIE KNASTFREIABOS UND DIE VERBES¬ 
SERUNGEN AM SCHWARZEN FADEN (PHOTOS, TEILSATZ...) 
FINANZIEREN. 

^ WIR WÜRDEN GERN EINE RÜCKMELDUNG VON MÖGLICHST 
VIELEN LESERN HÖREN, OB SIE DIE FRAGE DURCH EINE 
PREISERHÖHUNG FÜR UNBESTIMMTE ZEIT GELÖST SEHEN 
WOLLEN, ODER OB SIE FÜR EINE WIEDERKEHRENDE 
SPENDENLISTE IM 'FADEN 1 ZU HABEN SIND... 

^ DIE ERHÖHUNG AUF 1500 AUFLAGE HAT ZUR FOLGE, 

DAß WIR TROTZ DER STEIGENDEN ABOZAHLEN (IM MO¬ 
MENT: 8 92 ) NATÜRLICH NOCH EINEN ZEITSCHRIFTEN¬ 
UBERSCHUß HABEN, - DEN JEWEILS LOSZUWERDEN KÖN¬ 
NTET IHR UNS AUF ZWEI WEGEN HELFEN: EINMAL 
DURCH WIEDERVERKAUF (zu 30 % Rabatt)? ZUM 
ANDEREN, INDEM IHR IN DEN EUCH NAHELIEGENSTEN 

Buchläden schaut, ob der sf bereits verkauft 

WIRD BZW. OB ER NACHBESTELLT WIRD, SOBALD ER 
VERGRIFFEN IST. ES GAB BISHER KAUM NACHBESTEL¬ 
LUNGEN VON BUCHLÄDEN, OBWOHL DER SF JA JEWEILS 
EIN VIERTELJAHR AUFLIEGEN SOLLTE. 


ÜBERSICHT FÜR SF-NR.6:g 

DRUCKKOSTEN: 1805,61 DM 

PHOTO-+LAYOUT-MATERIAL: 146,50 

TRANSPORT-* VERTRIEBSKOSTEN: 94,50 

VERPACKUNGSMATERIAL: 96,07 (wenig, da viel ge¬ 
spendet ! ) 

PORTOKOSTEN: 377,70 

ANZEIGEN/WERBUNG: 137,67 

WEITERVERARBEITUNG: - (maeh e n^KöIner^Genossen) 
gesamt! 2658,11 DM 

EINNAHMEN: 1300 AUFLAGE (abzgl. 100 Knast- 

Austauschabos...) 

_9 50 < 2,10 (30% abzgl.) (abzgl. ca.2a0 Lager) 

1995.- 

160.- Förderabos 


120 


ANZEIGEN : SOFERN DIE ABGEDRUCKTEN ANZEIGEN 
NICHT AUF AUSTAUSCHBASIS ABGESPROCHEN WERDEN, 
KOSTET EINE HALBE SPALTE BZW. 19*6cm 40.-DM; 
EINE SPALTE oder eine halbe Seite 80.-DM. BEI¬ 
LEGEZETTEL ODER GRÖßERE ANZEIGEN NEHMEN WIR 
NICHT! 



ALTE NUMMERN : : 

NR.0 und 1 sind vergriffen. Von NR.2 gibt es 
noch Restexemplare. 

NR.3 ENTHÄLT: REAGAN, NACHRÜSTUNG, BERLINER 
UND ZÜRICHER HÄUSERKAMPF, ANARCHAFEMINISMüS, 
ANARCHISTISCHES SUBJEKT, "ÖSTERR.ÖKONOMIE", 
ALEMANTSCHEN-ÖKOLOGIE, BETONZEIT u.a. 

NR.4 : KRONSTADT-KONGREß, HUNGERSTREIK, B.TRAYEN 
GUATEMALA, MIGROS-GENOSSENSCHAFT, ATOMWAFFEN¬ 
VERSUCHE, ÖKONOMIE- DISKUSSION,... 

NR.5: SCHWARZER BLOCK, SELBSTVERWALTUNG UND 
ÖKONOMIE, ANARCHISMUS IM ZEITALTER DER NEU¬ 
TRONENBOMBE, NADGE UND AWACS, ANARCHISTEN IN 
PORTUGAL, LESERBRIEFDISKUSSIONEN..."hautnah" 

NR. 6: HEROIN IN DIE SCENE, SOLIDARNOSC, ASYL¬ 
RECHT, STARTBAHN-WEST, LÄNDLICHE UTOPIE, 

SPARTACUS, CNT-RUNDREISE, ANARCHISTEN UND 
FRIEDENSBEWEGUNG,... "hautnah". 

UND NOCH ETWAS: ALS ANARCHISTEN ERHEBEN WIR 
SELBSTVERSTÄNDLICH KEIN COPYRIGHT, ABER WIR’ 
BESTEHEN DARAUF, DAß DER "SF" ALS QUELLE DES 
ZITATS ODER EINES GANZEN ARTIKELS GENANNT WIRD! 

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REDAKTIONS-UND ABOANSCHRIFT: SCHWARZER FADEN 


4 Nrn. ABO: 10.-DM 
8 Nrn. ABO: 20.-DM 
FÖRDERABO (4 Nrn.): 20.-DM 
POSTSCHECKKONTO STUTTGART 
FRIEDERIKE KAMANN 
KTONR. 574 63 - 703 

name 


STR. 


OBERE WEIBERMARKTSTR.3 
7410 REUTLINGEN 



275 .- 


Anzeiaen 

d.h. 383.11 DM MINUS IM MOMENT! 


ORT